Tonio Kröger – Novelle von Thomas Mann
Epoche der Moderne/Weimarer Republik bis
zum Ende des 3. Reiches (1925-1945):
Der Begriff Moderne bezeichnet
zunächst einen Umbruch in allen Bereichen des individuellen und
gesellschaftlichen Lebens gegenüber der Tradition. Heute wird dieser Umbruch
überwiegend mit den Entwicklungen des 18. und 19. Jahrhunderts in Verbindung
gebracht: Geistesgeschichtlich mit der Aufklärung, Politisch mit der
Französischen Revolution, Ökonomisch mit der Industrialisierung. In der eher
kunstgeschichtlich beeinflußten Geschichtsschreibung gilt insbesondere das
frühe 20. Jahrhundert als die klassische Moderne.
Inhaltsangabe:
Thomas Mann schildert die Einsamkeit und die
Leiden eines Kindes und jungen Mannes, der zwischen dem bohemischen Leben der
Kunst und der lebensbejahenden - aber doch oberflächlichen und banalen Welt des
Bürgertums und dessen Einfachheit steht und sich nirgendwo daheim fühlt.
Figuren:
Tonio Kröger ist der Protagonist des Buches. Er ist der Sohn
einer Italienerin und eines reichen Kaufmanns aus Lübeck, wo er auch lebt. Was
sein äußeres Erscheinungsbild anbelangt, hat er ein auffallend scharf
geschnittenes Gesicht und einen weichen Mund und dunkle Haare. Dadurch sowie
durch sein Verhalten erscheint er als träumerischer, nachlässiger, südländisch
beeinflusster Einzelgänger, der von Selbstzweifeln geplagt ist. Er ist
melancholisch und körperlich nicht athletisch zu nennen. Er sehnt sich nach
Liebe. Einerseits hat er Sehnsucht nach dem Normalen, andererseits verachtet er
es aber auch. Als Künstler verurteilt er später jede menschliche, normale
Empfindung.
Hans Hansen ist der Jugendfreund von Tonio Kröger und wie Tonio
ebenfalls Sohn eines wohlhabenden Lübecker Kaufmanns. Tonio empfindet eine
tiefe Zuneigung zu ihm, Hans Hansen, der blonde Haare, eine sportliche Figur
und einen "taktfesten Gang" besitzt. Er akzeptiert seine
gesellschaftliche Stellung und stellt insgesamt das komplette Gegenteil zu
Tonio Kröger dar, vom Aussehen sowie vom Verhalten her. In seinen Kindertagen
ist er ein fröhlicher Junge, der sich eher für Pferde als für Tonios
Leidenschaft für Literatur begeistern kann. Er weiß um die große Zuneigung, die
Tonio ihm entgegenbringt, geht jedoch nicht darauf ein und erwidert diese zu
Tonios Leidwesen nicht.
Ingeborg Holm wird Tonio Krögers zweite große Liebe nach Hans
Hansen. Ingeborg, mit ihrem blonden Zopf und den blauen Augen mit
Sommersprossen über der Nase, hat ein humorvolles Wesen und wird nicht nur von
Tonio Kröger umworben. Sie geht ebenfalls nicht auf Tonios Zuneigung ein. Er
bekennt sich auch hier nie zu seiner Liebe zu ihr, daher weiß sie nicht einmal
von seinen Gefühlen. Es besteht keine Beziehung zwischen ihnen, sondern ist
eine stille Liebe seinerseits.
Magdalena Vermehren ist sehr an Tonio Kröger interessiert, sie möchte
seine Gedichte hören und in seiner Nähe sein. Diesen Wunsch erfüllt Tonio
jedoch nicht. Er empfindet nichts für sie und ist zu keinem Zeitpunkt an ihr
interessiert.
Francois Knaak ist Ballettmeister und Tanzlehrer, der Angehörige
der ersten Familien Hamburgs unterrichtet, zu denen auch Tonio gehört. Er macht
sich im Laufe der Tanzstunde in der Gegenwart von Ingeborg Holm und Magdalena
Vermehren über einen Fehler Tonios lustig. Tonio ist neidisch auf das Ansehen,
welches Francois Knaak genießt.
Lisaweta Iwanowna ist eine Künstlerbekanntschaft aus München, zu der
Tonio Kröger in Freundschaft steht. Der erwachsene Tonio verbringt viel Zeit
bei ihr und führt tiefgehende Gespräche. Diese Beziehung ist rein platonischer
Natur.
-1-
Unterrichtsmaterial:
Unterschied Tonio Kröger – Hans Hansen
Tonio gilt als Außenseiter, im Sinne von
"befremdlich" – fremd und beneidet Hans um dessen Normalität und
Besonnenheit (ist gesellschaftlich herausragend in Bereichen wie Schule, Sport,
Hobby, ...) , seine Verachtung und Seligkeit gegenüber ihm stehen so im
Widerspruch.
Tonio
Tonios Wunsch nach der Überwindung der
Enge, seine Sehnsucht nach Weite ("Lösung von Klammern und Fäden")
wird geprägt durch folgende Faktoren:
In der "blauen Ferne" glaubt er
sich frei von allen Bindungen "... und empfand keinen Schmerz dabei"
Bürgertum |
Künstlertum |
-plump, niedriges Dasein -das Banale -unbewusstes, stummes Leben -arbeitet um zu leben -Erbteil seines Vaters -harmlos, fröhlich -Reinheit, wohlanständiger Friede -Fleiß |
-Macht des Geistes und
Wortes/exzentrisches Leben -Takt, Geschmack, (fein, kostbar,
erlesen...) -hellsichtig/Hochmut der Erkenntnis -leben, um zu arbeiten -schöne, feurige Mutter -Einsamkeit -Ausschweifung/Gewissensnöte -Vorraussetzung für echte Künstlertum: ein
schweres Leben -hin und her gerissen sein -keine Liebe -Arbeit als Erfüllung und Selbstverwirklichung |
-2-
Kap. 2 Tanzstunde in der Heimatstadt (Tonio ist 16) |
Kap. 8 Tanzabend in Helsingör (Tonio ist erwachsen, >30) |
-Privatkursus der Familie -Inge (übermütiges Lachen, Handbewegung) -Herr Knaak à Aussehen und Verhalten: Gehrock, Affektiertheit Nasal – Laute -Ambiente: Mütter auf Plüschstühlen Gasflammen des Kronleuchters & Kerzen
auf dem Kamin -Magdalena fällt hin
|
-Familienvereinigung -blonde Frau ?????? -Postadjunkt à Aussehen und Verhalten: schwalbenschwanzförmiges Röckchen komische Funktion Festordner & Kommandeur des Balles,
Nasal – Laute -Ambiente: Frauen und Männer auf Plüschstühlen Petroleumlampen -dunkles Mädchen fällt hin |
à "Ich möchte schlafen, aber du musst
tanzen"
à "Sie müsste kommen! Sie müsste bemerken, dass
er fort war..."
Bürgerleben ß
Tonio à Künstlerleben
Interpretation:
Tonio assoziiert blonde und blauäugige, also
nordische Menschen mit dem Leben. So heisst es zum Beispiel in dem Brief, den
er am Ende schreibt: "Aber meine tiefst und verstohlenste Liebe gehört den
Blonden, den Blauäugigen, den hellen Lebendigen, den Glücklichen,
Liebenswürdigen und Gewöhnlichen. Schelten sie diese Liebe nicht, Liesaweta;
sie ist gut und fruchtbar. Sehnsucht ist darin und schwermütiger Neid und ein
klein wenig Verachtung und eine ganz keuscht Seligkeit." Besonders der
letzte Satz ist wichtig, denn er taucht viel früher schon einmal auf, in der
Jugend des Knaben auf, als er über die Liebe zu Hans Hansen spricht. Er liebt
also weder den Menschen Hans noch den Menschen Inge sondern vielmehr ihr
Aussehen und auch die Banalität ihrer Gedanken und ihres Lebens. Er hasst die
Literatur, ihrer Kälte und Intellektualität wegen und liebt das Leben, vor
allem, weil er ein Künstler ist, ein geborener Künstler, der das Leben nicht
kennt. So sagt er: "Die Begabung für Stil, Forum und Ausdruck setzt
bereits dieses kühle, wählerische Verhältnis zum Menschen, ja eine gewisse
menschliche Verarmung voraus." Es ist wie ein Fluch für ihn. Hans und Inge
sind also eine Art Symbol für das Leben, das er bewundert und begehrt.
-3-
Literatur - Leben
Tonio liebt die Gegensätze, sucht das, was
er selbst nicht hat, bzw. haben kann, hält sich also für kalt und nicht sehr
lebendig - man könnte fast sagen, tot - wie die Literatur. "Er arbeitete
nicht wie jemand, der arbeitet, um zu leben, sondern wie jemand, der nichts
will, als arbeiten, weil er sich als lebendigen Menschen für nichts achtet, nur
als Schaffender in Betracht zu kommen wünscht und im übrigen grau und
unauffällig umhergeht wie ein abgeschminkter Schauspieler, der nichts ist,
solange er nichts darzustellen hat." Dieser Satz sagt, dass Tonio die
Kunst zwar hasst, aber doch auf eine gewisse Weise von ihr abhängig ist, denn
ohne sie, ist er ein Nichts.
Das Buch ist das Protokoll des Lebens eines
jungen Mannes, der, um zu sein, von dem abhängig ist, das er hasst und das ihn
zu einem toten Lebewesen macht, und der sich in das Leben verliebt, was ihm
jedoch nur noch mehr Leid bringt - es ist fast eine Autobiografie Thomas Manns.
Hintergründe:
Kunst und Kultur in der Weimarer Zeit
Kulturell war die Zeit der Weimarer Republik
eine der schöpferischsten und experimentierfreudigsten Epochen der deutschen
Geschichte. Waren die Anfangsjahre jedoch noch geprägt vom Geist des späten
Expressionismus in Malerei und Literatur, dominierte im besten Jahrfünft die
Neue Sachlichkeit, die wiederum von einem sozialkritischen Realismus zur Zeit
der Weltwirtschaftskrise abgelöst wurde. Autoren wie Bertolt Brecht, Alfred
Döblin, Lion Feuchtwanger, Erich Kästner, Thomas und Heinrich Mann, Carl von
Ossietzky, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Franz Werfel, Arnold und Stefan
Zweig schrieben Weltliteratur. Der Film entwickelte sich zum Massenmedium und
setzte mit dem Cabinet des Dr. Caligari und Metropolis künstlerische Akzente.
Der durch Walter Gropius in Weimar begründete Bauhausstil wurde zu einem der
bedeutendsten Architekturstile des 20. Jahrhunderts. Stellvertretend für viele
Künstler sei George Grosz genannt, der mit seinen ätzend satirischen
Darstellungen von Bourgeoisie, Justiz und Militär (zum Beispiel Stützen der
Gesellschaft, 1926) die sozialen Missstände der Weimarer Republik anprangerte.
zum Bürgertum
Die Gesellschaft der Weimarer Republik war
eine zutiefst gespaltene. Wirtschaftliche Not bestimmte in den Jahren nach dem
Ersten Weltkrieg den Alltag eines Großteils der Deutschen. Dem auch während der
"Goldenen Zwanziger" grassierenden Elend der am Rande des
Existenzminimums lebenden Arbeiterfamilien stand eine Kunst- und Kulturszene
mit einem avantgardistischen Lebensstil kaum dagewesener Intensität gegenüber.
Ebenso wie der Freizeit- und Vergnügungsbereich immer konkretere Formen annahm,
wuchsen in einer durch Technikbegeisterung geprägten Zeit die Möglichkeiten der
Kommunikation und der Motorisierung. Mit dem Automobil oder dem Motorrad, dem
beliebtesten Verkehrsmittel der Weimarer Republik, unterwegs zu sein, bedeutete
Unabhängigkeit und Flexibilität.
-4- 26.09.05 Lisa Andes MSS
13