Thomas Mann


Der Tod in Venedig


  1. Fasse den Inhalt der Novelle zusammen


Die Novelle ist in fünf Kapitel gegliedert, eine Anspielung auf die fünf Akte des griechischen Dramas.
Im ersten Kapitel begegnet der fünfzig Jahre alte, berühmte Schriftsteller Gustav Aschenbach bei einem Spaziergang auf einem Münchener Friedhof einem Fremden, dessen seltsame Erscheinung in ihm eine Reiselust weckt. Da er gerade eine Schaffenskrise durchmacht, beschließt er, seinem Gefühl zu folgen.
Im zweiten Kapitel erfährt man etwas über die Vergangenheit und die Charakterzüge des Schriftstellers. Der Gustav von Aschenbach, der dem Leser in den ersten Kapiteln präsentiert wird, ist ein nahezu emotionsloser, hart arbeitender Künstler. Diese Härte sich selbst und seiner Kunst gegenüber liegt schon in der Abstammung und Jugend Aschenbachs begründet. Sein Vater war ein Preuße, der streng auf Ordnung und Zucht achtete. Den Hang zum Schriftstellertum hat er von seiner Mutter geerbt.
Im dritten Kapitel fährt Aschenbach zunächst auf eine Insel, auf der es ihm nicht gefällt, und wählt Venedig als sein nächstes Reiseziel. Dabei begegnet er einem Schiffszahlmeister, der ihm die Stadt anpreist, und auf dem Schiff beobachtet er einen alten Mann, der krampfhaft versucht jugendlich zu wirken. In Venedig angekommen wird er von einem Gondoliere gefahren, der keine Lizenz hat.
Danach begegnet Aschenbach in seinem Hotel einen polnischen Knaben, der vollkommen schön ist. Er verliebt sich augenblicklich in den Jungen, welcher den Jünglingen aus den griechischen Sagen gleicht, will dies aber nicht wahrhaben. Dennoch beobachtet er den Jungen, dessen Name Tadzio lautet, in den folgenden Tagen am Strand und im Hotel ständig.
Da ihm die Wetterlage in Venedig nicht bekommt, möchte er abreisen, dies wird aber durch die falsche Aufgabe seines Gepäckes verhindert. Aschenbach muss sich eingestehen, dass er nicht sehr unglücklich darüber ist. Er fährt fort Tadzio diskret zu beobachten. Im Verlauf seines Venedigaufenthalts wird Aschenbach mit der Gefahr der Cholera, die sich in der Stadt ausbreitet konfrontiert. Als er Tadzio eines Tages unvorbereitet gegenübersteht, muss er sich letztendlich eingestehen, dass er den 14-Jährigen liebt und es nicht übers Herz brächte, diesen vor der Cholera zu warnen und somit zu verlieren. Er bleibt also in der Stadt und stirbt am Ende, vermutlich durch eben jene Krankheit.

  1. Nenne im Werk verarbeitete Gegensätze und analysiere sie.



Ein zentrales Thema des Textes ist der Konflikt zwischen dem Leidenschaftlichen, Zügellosen und dem Geistigen, Idealen. Daran geknüpft sind die Themen des Künstlertums um 1900 und die Thematik des Verfalls des Menschen, aber auch von Normen und Sitten.

Der Schriftsteller Aschenbach lebte ursprünglich nach streng geistig, idealistischen Anschauungen. Jeder Satz aus seiner Feder war das Resultat von „Willensdauer und Zähigkeit“, am Morgen quälte er sich mit kalten Bädern. Er „wünschte sich sehnlichst, alt zu werden“. Dieses Leben brachte ihm Ruhm und Ehre in der Welt der Schriftsteller, verschafft ihm aber offensichtlich nicht die Befriedigung, die er braucht. Das geistig, idealistische ist der Ursprung von Aschenbachs „Skrupel der Unlust, die sich als eine durch nichts mehr zu befriedigende Ungenügsamkeit“, seiner Kunst darstellt.
Animiert durch den Fremden beginnt er seine Reise. Schon am Anfang wird sein Weg von einem falschen Jüngling gewiesen, über die Lagune setzt ihn ein falscher Gondoliere (ohne Konzession) und Venedig selbst präsentiert sich als falsche Schöne (die Cholera verbreitet sich rasend), durch die er schließlich als ein falscher Knabe streifen wird. Das Prinzip des Leidenschaftlichen (hier: des Falschen) zieht sich ab seinem Entschluss durch das Buch und findet seinen Höhepunkt in der Gestalt des Jungen Tadzio.
Aschenbach bemerkt seine Zuneigung zu dem Jungen, kann aber nicht von seiner, von dem Idealen geprägten Lebensweise lassen. Um seine Würde zu wahren flüchtet er gedanklich auf eine höhere Ebene, auf der er sich selbst zu überzeugen versucht, dass Tadzios Schönheit im Mittelpunkt seiner Betrachtungen steht, da er als Künstler an dem Schönen interessiert sei. Er versucht seine Empfindungen, die er nicht versteht umzuwandeln und auf einer Ebene zu rechtfertigen, die er verstehen kann, die ihm bekannt ist.

Würde er also von dieser Sichtweise ablassen, würde er seine selbst geschaffene Identität vernichten. Er ist aber bestrebt diese aufrecht zu erhalten und will Tadzio nur als Objekt des Schönen, nicht als Objekt seiner Begierde begreifen. Als Aschenbach Tadzio aber unverhofft und unvorbereitet antrifft, kann der Schriftsteller nicht mehr an seiner bewussten Lüge festhalten und gesteht, dass er Tadzio liebt. Er vermag es nicht länger, „denn der Leidenschaft ist, wie dem Verbrechen, die gesicherte Ordnung und Wohlfahrt des Alltags nicht gemäß“, und „du musst wissen, dass wir Dichter den Weg der Schönheit nicht gehen können, ohne dass Eros sich zugesellt und sich zum Führer aufwirft“. Er erkennt also, dass ein Schriftsteller, um wahrhaft künstlerisch tätig zu sein, niemals nur einem Ideal folgen kann, sondern auch seiner zügellosen Leidenschaft nachgeben muss. Letzteres birgt aber wiederum eine Gefahr, denn dem Künstler ist „eine unverbesserliche und natürliche Richtung zum Abgrunde eingeboren“. Dieser Gefahr kann er auch nicht entgehen.

Daran ändert auch die vermeintliche Verschmelzung der eigentlichen Gegensätze nichts, die Aschenbach durch seinen plötzlichen Wunsch zu schreiben herstellen will, denn die eher bescheidenen „anderthalb Seiten erlesener Prosa“ lassen Aschenbach „erschöpft, ja zerrüttet“ zurück. Somit ist der Schriftsteller gescheitert: Er hat ein Leben geführt, dass nicht wirklich künstlerisch war, er kann aber auch kein künstlerischen Leben führen, da es ihn zerstört. Ein weiterer Gegensatz.

  1. Nenne und analysiere das entscheidende Motiv der Novelle


Durch das Gesamte Werk ziehen sich Motive, die den Tod Aschenbachs schon ankündigen, bevor er eintrifft.

Die im Roman vorkommenden Figuren des Schiffszahlmeisters, des Gecken und des Gondolieres enthalten Anspielungen auf die mittelalterliche Darstellung des Todes. Wie in vielen alten Kunstwerken sieht man in diesen Figuren weiße oder gelbe Zähne, eine Grimasse, rotes Haar, und eine kurze, meistens aufgeworfene Nase. Der Reisende, zum Beispiel, dem Aschenbach am Friedhof in München begegnet, wird so dargestellt: Er ist „mäßig hochgewachsen, mager, bartlos und auffallend stumpfnäsig“, er gehört „zum rothaarigen Typ und [besitzt] dessen milchige und sommersprossige Haut.“ Die rote Farbe des Haares ist hier repräsentativ für den Tod, zum Teil weil sie ein Anzeichen des Teuflischen ist, aber auch weil sie an Blut, Feuer, und Zerstörung erinnert. Auch bilden die Bartlosigkeit und die Magerkeit eine eindeutige Metapher für ein Totengerippe.
Auch der Gondoliere weist viele gemeinsame Merkmale auf. Er hat rötliche Brauen und eine kurze aufgeworfene Nase, und er trägt eine gelbe Schärpe. Die gelbe Farbe dieser Schärpe deutet wieder auf die alten Todesbilder an: sie ist ein typisches Zeichen des Verfalls und der Verwesung, vielleicht weil sie mit Krankheiten wie Gelbsucht assoziiert ist.

Ein anderes Todesmotiv ist das Schiff des Gondolieres, das an einen Sarg erinnert.

Auch die Stadt Venedig ist ein Todesmotiv. In Aschenbachs Erinnerungen erscheint sie schön und zauberhaft, als er sie sieht, erblickt er ein negatives Bild. Das Stadtbild Venedigs, das von Verfall geprägt ist und eher morbiden Charme versprüht, deutet auf das Thema des Verfalls hin. Besonders durch die mehr und mehr um sich greifende Cholera wird dieser Charakter noch vertieft.

Das Wetter kann man ebenfalls als Motiv benennen. Als er in Venedig ankommt ist es trüb und nebelig, als er abfahren will, scheint die Sonne und das Wetter ist klar. Dann entschließt sich Aschenbach zu bleiben und der Nebel drückt daraufhin stark auf Aschenbachs Gesundheit.

Das Motiv des Meeres symbolisiert einerseits den Fluss der Unterwelt, über den der Fährmann fährt. Es steht für Aschenbach aber auch für Ruhe (wenn er allein ist) und für Chaos (wenn Tadzio anwesend ist).

Das letzte Motiv sind die Gebärden Aschenbachs. Wie obern erwähnt hat Aschenbach immer züchtig und angespannt gelebt. Dementsprechend sind seine Handbewegungen stramm und streng. Im Laufe der Geschichte erschlafft seine Haltung allerdings, er läst den Arm lässig über der Lehne hängen und zeigt die Handflächen offen. Hier wird sein Fall vom Würdevollen, Moralischen zur Unwürde und dem Unmoralischen verdeutlicht.

Die Motive deuten Aschenbachs Ableben schon an und spiegeln seinen gesundheitlichen und seelischen Zustand, welche in expliziter Form im Buch nicht genannt werden.

  1. Vergleiche explizit die Todesboten untereinander und mit Aschenbach



Bereits der seltsame Fremde zu Beginn der Novelle, der die Reiselust entfacht, ist ein Todesbote. Schon der Ort des Treffens, ein Friedhof, weist auf seine eigentliche Bestimmung hin. Er ist „mäßig hochgewachsen, mager, bartlos und auffallend stumpfnäsig“, er gehört „zum rothaarigen Typ und [besitzt] dessen milchige und sommersprossige Haut.“ (weiteres siehe oben). Er bringt Aschenbachs Seele in rätselhafte Bewegung („Das alles ließ das Herz pochen, vor Entsetzen und rätselhaftem Verlangem“) und ist der Beginn des Wegs ins Verhängnisvolle. Dieser erste Bote ist der Beginn, weitere werden folgen. Man kann diese Gestalten als Verdichtungen des Aschenbachschen Innern sehen, sie üben diese Macht und Faszination nur auf ihn aus, weil sie aus seinem unbewussten Innern kommen. Diese ganze Gestaltenreihe hat einen doppelten Aspekt, auf der einen Seite sind sie real existierende Personen, die für das Schicksal Aschenbachs keine besondere Rolle spielen und nur kurz auftauchen, symbolisch gesehen sind sie aber die Boten des Todes durch deren Anwesenheit das Entscheidende mitgeteilt wird.

Die nächste Gestalt ist der Fahrkartenaussteller, ein „ziegenbärtiger Mann von der Physiognomie eines altmodischen Zirkusdirektors“, der eine weitere Station auf dem Weg in den Tod ist.

Besonderes Gewicht hat der „falsche Jüngling“ unter den Passagieren. Der alte Mann, der sein Alter mit Schminke verbergen will, wirkt inmitten der Jugend schauerlich, es wirkt als würde „eine träumerische Entfremdung, eine Entstellung der Welt ins Sonderbare um sich greifen.“ Am Ende wird er durch Trunkenheit völlig ins Lächerliche gezogen. Er stellt ein wichtiges Symbol dar, denn er ist das, was Aschenbach später selbst wird. In der Szene besteht noch keine Ähnlichkeit zwischen den beiden, doch wenn später der aller Würde beraubte Aschenbach durch den Coiffeur ein jugendliches Aussehen wünscht, wird er ebenfalls zu einem „falschen Jüngling.“

Es folgt der falsche Gondoliere. Dieser hat eine Ähnlichkeit mit dem Fremden in München. So wie dieser nicht bayrisch wirkte, ist der Gondoliere nicht italienisch. Wieder haben wir die „rötlichen Brauen“, die kurz aufgeworfene Nase und die entblößten weißen Zähne.

Auch der Knabe Tadzio gehört in diese Reihe. Er ist nicht etwa der Mittelpunkt der Novelle, sondern eher noch eine Randfigur. Der Todesbote hat viele Masken, Tadzio, ist die für Aschenbach verführerische. Er ist quasi die letzte Steigerung in der Todesbereitschaft des Schriftstellers.

Als Aschenbach schon in seiner Trunkenheit unterzugehen droht, begegnet ihm eine letzter Bote. In einer Gruppe von Straßensängern entdeckt er Buffo, den Gitaristen, der „halb Zuhälter, halb Komödiant, brutal und verwegen, gefährlich und unterhaltend“ ist. Wieder eine trotzige herrische und wilde Figur. Sein Schlusslied mit dem Lachrefrain wird zur grauenhaften Verdichtung der Situation. Vielleicht die furchtbarste Stelle der Erzählung, das groteske Lachen im verseuchten Venedig, die Menschen lassen sich alle in grausamer Komik gehen. Der Buffo sieht ebenfalls dem Fremden am Friedhof ähnlich, wird jedoch durch das Clownhafte und Grimassierende auch mit dem falschen Jüngling verknüpft und somit auch mit Aschenbach.



  1. Nenne und erläutere eine Parallele zwischen „Tod in Venedig“ und „Mario und der Zauberer“



Bei beiden Novellen Thomas Manns werden die Figuren durch äußere Einflüsse gedrängt den Urlaubsort zu verlassen, doch beide Protagonisten bleiben.

Im einen Fall kann auch die Aufdeckung der Wahrheit über Venedig und die sich ausbreitende Seuche Aschenbach nicht zur Abreise bringen. In ihm hat sich ein nicht gekannter Nihilismus ausgebreitet, er zieht das Chaos in Venedig dem geordneten, idealisierten Leben daheim vor. Der „Gedanke an Heimkehr, an Besonnenheit, Nüchternheit, Mühsal und Meisterschaft widerte ihn in solchem Maße , dass sein Gesicht sich zum Ausdruck physischer Übelkeit verzerrte.“ „Das Bild der heimgesuchten und verwahrlosten Stadt, wüst seinem Geiste vorschwebend, entzündete in ihm Hoffnungen, unfassbar, die Vernunft überschreitend und von ungeheuerlicher Süßigkeit... Was galt ihm noch Kunst und Tugend gegenüber den Vorteilen des Chaos? Er schwieg und blieb.“ Er ist so von Tadzio und dem nicht gekannten Lebensgefühl der Leidenschaft umgeben, dass er freiwillig in den Tod geht.

Bei Mario und der Zauberer kennt der Protagonist ebenfalls früh die Wahrheit. Er weiß, dass es sich nicht um einen Zauberkünstler, sondern um einen Hypnotiseur handelt.

Gründe für das Bleiben: Der Verlust der Ordnung. Über die ganze Vorstellung hinweg fehlt dem Erzähler die Orientierung, es entsteht eine Aufhebung des Zeitgefühls.

- Dies ist eine Parallele zu der Situation in Venedig, da durch die Seuche und Aschenbachs Verfall im großen und im kleinen Chaos herrschen.

Obwohl der Erzähler in „Mario und der Zauberer“ die Kinder ins Bett bringen will, scheiterte er an deren Widerstand. Auch die bloße Neugier, die ihn erfasst hat und Cipollas „Abgang mit Ankündigungen“ der noch „eine Steigerung der Effekte“ erwarten ließ, veranlasst ihn zum Bleiben.

Doch die eigentliche Erklärung folgt erst. Die Vorstellung reicht nicht aus, der ganze Urlaub in Torre muss beleuchtet werden, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Der Erzähler kann nicht anders, es wird etwas passieren, die Neugier hat ihn gepackt, er ist in Cipollas Faszination gefangen. - Hier ist eine weitere Parallele zu finden. Es reicht nicht Tadzio als einzigen Grund für Aschenbachs Bleiben zu nennen. Es ist das ganze Neue, nicht Gekannte, dass in Venedig auf ihn einstürzt. Er hat schon durch die Reise an sich etwas riskiert, seine geistig idealistische Lebensweise gebrochen. Schon damit war sein Untergang besiegelt.




Alexander Berzel