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Achim Jung: Günter Eich - Der Dichter vor der Realität. Materialien für eine Unterrichtsreihe


I. Gedichte


1930-1945: Deine Tage gehen falsch (8)

1945-1964: Latrine (11), Der große Lübbe-See (20), Japanischer Holzschnitt (51)

1964-1972: Lange Gedichte (33-35), Viareggio (40)

(Günter Eich: Fabula rasa. Gedichte und Maulwürfe. Reclam).


    1. Einleitung: Zum Verständnis von Dichtung


Bemerkungen über Lyrik. Eine Antwort an Bernhard Diebold. (1932)

Definition: Gedichte sind Phänomene, sie sind "selbst Material für Erkenntnisse und Begriffsbildungen". "Was ist das Wesentliche einer Zeit? Doch wohl nicht ihre äußeren Erscheinungsformen, Flugzeug und Dynamo, sondern die Veränderung, die der Mensch durch sie erfährt." "Der Lyriker muss alte Vokabeln gebrauchen, die selbst problemlos geworden, ihre neue Bedeutung erst durch das Ich gewinnen."

"Die Größe der Lyrik und aller Kunst aber ist es, dass sie, obwohl vom Menschen geschaffen, die Absichtslosigkeit eines Naturphänomens hat."

Deine Tage gehen falsch (8)


Eich: Äußerungen zur Literatur

"Durch den Wald klingt kein Posthorn mehr, sondern bei Morgengrauen ziehen die Kinder und Frauen mit klappernden Eimern in die Beeren dort werden Reisig und Zapfen gesammelt, nicht weil es poetisch ist, sondern weil es keine Kohlen gibt; Aufforstung und Abholzung, statistische Zahlen und eine Ziffer im Haushalsplan - so trockene Dinge können bedeutender sein als die subtilen Gefühle, die der Spaziergänger beim Einatmen des Tannenduftes hat. Ich will nicht sagen, dass es keine Schönheit gibt, aber sie setzt Wahrheit voraus." (Der Schriftsteller 1947, 1947)

Latrine (11)


Das Gedicht hat eine "gewisse Verwandtschaft zu einem chinesischen Schriftzeichen" "Es ist das Ganze sozusagen, eine Hieroglyphe". (Interview, 1949).






III. In den Reden von Günter Eich finden sich drei verschiedene Auffassungen von Poesie:



1. Gedichte sind Definitionen des Ich und der Realität.(Der Schriftsteller vor der Realität, 1956)

"Ich habe etwa die Schwierigkeiten wie ein taubstummer Blinder."

"Ich schreibe Gedichte, um mich in der Wirklichkeit zu orientieren. Ich betrachte sie als trigonometrische Punkte oder als Bojen, die in einer unbekannten Fläche den Kurs markieren. Erst durch das Schreiben erlangen für mich die Dinge Wirklichkeit."

Der große Lübbe-See (20)


2. Die Übersetzung der Realität in die Poesie

"Als die eigentliche Sprache erscheint mir die, in der das Wort und das Ding zusammenfallen. Aus dieser Sprache, die sich rings um uns befindet, zugleich aber nicht vorhanden ist, gilt es zu übersetzen. Wir übersetzen, ohne den Urtext zu haben. Die gelungenste Übersetzung kommt ihm am nächsten und erreicht den höchsten Grad von Wirklichkeit."

Japanischer Holzschnitt (51)

"Ich muss gestehen, dass ich in diesem Übersetzen noch nicht weit fortgeschritten bin. Ich bin über das Dingwort noch nicht hinaus. Ich befinde mich in der Lage eines Kindes, das Baum, Mond, Berg sagt und sich so orientiert." (Der Schriftsteller vor der Realität, 1956)



    1. Die Zurückweisung vorschneller Antworten in der Sprache der Mächtigen und der Reglementierung von Sprache im Allgemeinen

Büchner-Preisrede, 1959


"Das Verzwickte unserer Situation ist es, dass die Antworten da sind, bevor die Fragen gestellt werden", so dass man "auf die Fragen überhaupt" verzichtet.


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Mit meinen Versen stelle ich Fragen, 1965

"Ich habe als verspäteter Expressionist und Naturlyriker begonnen, heute enthält meine Lyrik viel groteske Züge, das liegt wohl an einem Hang zum Realen, es ist mir nicht möglich, die Welt nur in der Auswahl des Schönen und Edlen und Feierlichen zu sehen."

"Mit meinen Gedichten stelle ich Fragen, gebe keine Antworten."

Lange Gedichte (33-35)

Vom Ernst zum Blödsinn. Interview (1967)

Das "Nichtvernünftige in der Welt ist so bestimmend, dass es auch in irgendeiner Weise zum Ausdruck kommen muss." Literatur ist eine "Funktion des Nichteinverstandenseins mit der Welt (...), mit den Dingen der Schöpfung, die ich also ablehne."

Die Sprache ist die Welt, das Zeichen ist ein Ding. Die Welt ist nicht als Buch zu verstehen, in dem wir lesen könnten.


Viareggio (40)


Eichs Poetik: Thesen zur Lyrik (1968)

- Gedichte ohne die Dimension Zeit.

- Gedichte die meditiert, nicht interpretiert werden müssen.

- Gedichte, die schön sind, ohne Schönheit zu enthalten

- Gedichte, in denen man sich zugleich ausdrückt und verbirgt.

- unweise Gedichte.

- direkte Gedichte".

"In meinem Gedichtband "Die Botschaften des Regens" war ich noch ein Naturdichter, der die Schöpfung akzeptiert hat. Heute akzeptiere ich die Natur nicht mehr: wenn sie unabänderlich ist. Ich bin gegen das Einverständnis der Dinge in der Schöpfung. Es ist immer der gleiche Gedankengang: das Nichtmehreinverstandensein."