Frau
Jenny Treibel oder "Wo sich Herz zum Herzen find`t":
Der
Roman "Frau Jenny Treibel", geschrieben von Theodor
Fontane, entstanden in den Jahren 1887 bis 1891, ist hier etwas
verkürzt dargestellt. Bei dieser Zusammenfassung handelt es sich
nur um die Handlungen von Corinna Schmidt und ihren Folgen. Schon im
ersten Kapitel des Romans schwärmt Corinna im Gespräch mit
Jenny Treibel von einem "Landauer und einem Garten um die Villa
herum"1 und ihrem Gefallen an Gesellschaften. Jenny lädt
Corinna, ihren Cousin Marcell und ihren Vater, der für solche
Gesellschaften jedoch nicht viel übrig hat, zu einem Diner ein,
dass zu Ehren eines Engländers im Treibelschen Haus gehalten
wird. Jenny weiß, dass Corinna die englische Sprache beherrscht
und einiges über die Politik und Geschichte Englands kennt. Die
Gäste und Freunde, die zu diesen Partien und Festen eingeladen
werden, sind sorgfältig nach dem Gesichtspunkt ausgewählt,
wie viel sie zu dem Ansehen, dem Prestige des Hauses Treibel
beitragen können. Zu diesen Personen gehören zwei adlige
Hofdamen, der Opernsänger Adolar Krola, der mit seinem guten
Äußeren, seiner guten Stimme und seinem Vermögen dem
Ansehen der Familie, solch einen Freundeskreis zu haben, natürlich
beiträgt. Corinna Schmidt wird gerne geladen, da sie mit ihren
geistreichen und gebildeten Konversationen zum Erfolg der
Treibelschen Gesellschaften beiträgt.
Bei oben erwähntem
Diner sitzt Corinna neben dem Engländer Nelson und unterhält
sich mit ihm auf eine kecke Weise und stellt sich als durchaus
unterhaltend dar. All dies geschieht auf eine berechnende Art
Corinnas, die sich dem Sohn Leopold, der auch anwesend ist, sehr
imponiert. Er unterliegt sofort ihrem Charme und Esprit. Ihrem
intelligenten Cousin Marcell missfällt dieses, da er selbst
Heiratspläne mit ihr anstellt und das Spiel durchschaut. Im
anschließenden Gespräch der beiden jungen Leute erklärt
Marcell eindeutig, dass die flotte Corinna einfach nicht zu Leopold
passt. Er sei "zu unbedeutend für sie"2. Corinna
selbst verleugnet ihre Absichten nicht und steht klar zu ihrem
Vorhaben. "Ein Hang nach Wohlleben, der jetzt alle Welt
beherrscht, hat mich auch in der Gewalt, ganz so wie alle
anderen,..."3. Sie sehnt sich nach Luxus und einem Leben ohne
Geldsorgen. Sie hat das kleinbürgerliche Leben satt. Auf einer
Landpartie macht Leopold dann das lang ersehnte Heiratsversprechen,
ahnt aber nicht das Ausmaß der Reaktion der Mutter, die selbst
einst durch Heirat den Weg in die gehobene Gesellschaft fand. Sie ist
empört und entschieden gegen eine Hochzeit der beiden jungen
Leute, denn Corinna verfügt nicht über viel Geld oder einen
Status. Eine Professorentochter hält sie für weit unter
ihrer Würde. Zunächst versucht sie sich bei ihrem Ehemann
zu empören, der jedoch einer solchen Hochzeit nicht abgeneigt
ist und meint, dass seine Frau überreagiere. Frau Jenny Treibel
beschwert sich dann bei Herrn Willibald Schmidt und Corinna selbst,
die sich gegen alle Anschuldigungen eines "überlegten
Überfalles"4 vehement wehrt. Leopold jedoch will hart
bleiben, schwört Corinna Liebe bis in den Tod, verspricht
Wehrhaftigkeit und Unerbittlichkeit gegenüber seiner Mutter -
doch den Worten folgen keine Taten, und das sieht schließlich
auch Corinna ein. So kommt es, dass sie doch den ihr schon lang
versprochenen Marcell heiratet und Leopold die hochnäsige
Schwägerin aus Hamburg.
Mathilde
Möhring:
Der
von Theodor Fontane in den Jahren 1891 und 1895/96 geschriebene Roman
"Mathilde Möhring" erzählt von der jungen,
intelligenten, zielstrebigen, dabei wenig anziehenden Mathilde
Möhring, die mit ihrer Mutter in einer Berliner Wohnung lebt.
Von all ihren Nachbarn wird sie wegen ihrer Höflichkeit und
Umsicht bewundert und anerkannt. Da Mutter und Tochter aufgrund des
Todes des Vaters von Mathilde alleine leben und nicht viel Geld
haben, vermieten sie eines ihrer Zimmer. Ein Mieter findet sich in
Hugo Großmann, einem Studenten kurz vor dem Examen, der jedoch
lieber Unterhaltungsliteratur als juristische Werke liest und
abendliche Theaterbesuche dem Besuch der Universität vorzieht.
Mathilde sieht in ihm eine Chance für sich, aus den ärmlichen
Verhältnissen und dem mütterlichen Haus herauszukommen,
sieht aber auch ein, dass dies eine schwierige Aufgabe im Hinblick
auf seine Faulheit und Unentschlossenheit sein wird. Darum legt sie
sich einen Plan zurecht, mit dem sie einen guten Eindruck bei Hugo
Großmann machen kann. Der beachtet sie zunächst aber gar
nicht und widmet sich lieber seiner Theaterleidenschaft und seinem
Freund, einem Schauspieler. Nach einer längeren Krankheit und
der damit verbundenen guten Fürsorge Mathildes kommt er zu dem
Schluss, "dass Thilde die Frau sei, die für ihn passe"5.
Er hat gemerkt, dass sie ein gutes Gegenstück zu ihm bildet und
er sich mit ihr ergänzt. Sie ist sehr fleißig und
ehrgeizig. Er eher faul und unentschlossen. Ihm ist aber auch klar,
dass sie ihn nicht weiterhin faulenzen lassen wird. Und er hat sich
nicht getäuscht. Denn sobald sie seiner in Form einer
offiziellen Verlobung sicher ist, lässt sie ihn nicht länger
ausruhen, sondern sorgt eigenhändig dafür, dass er tüchtig
und regelmäßig für sein Examen lernt und dieses
schließlich auch besteht. Glücklich ist Hugo dabei nicht
ganz, ist ihr aber auch dankbar, dass sie ihn so weit gebracht hat.
Nachdem er das Examen in der Tasche hat, setzt Mathilde sich nicht
zur Ruhe, sondern durchforscht so lange die Zeitungen, bis sie auf
eine Annonce stößt, in der nach einem neuen Bürgermeister
für die Kleinstadt Woldenstein gesucht wird. Mathilde sorgt
dafür, dass ihr Verlobter diese Chance ergreift und den Posten
bekommt. Nachdem das alles geregelt ist, steht der Vermählung
nichts mehr im Wege. Die aus armen und kleinen Verhältnissen
stammende Mathilde Möhring hat sich zur Bürgermeisterfrau
gemacht. Und sie macht sich weiterhin gut. Denn immer noch ist Hugo
auf ihren Anstoß angewiesen und sie sorgt im Hintergrund dafür,
dass er sich in seiner neuen Arbeitsstelle zurecht findet, gibt ihm
Denkanstöße und macht Vorschläge für neue
Unternehmungen in der Stadt. Auch sichert sie ihm das Wohlwollen der
Vorgesetzten in der Gegend und macht das junge Ehepaar zu allseits
beliebten Leuten in der Stadt. Doch der Erfolg hält nicht lange
an, denn Hugo zieht sich eine schlimme Lungenentzündung zu, die
schließlich zu einer Schwindsucht führt und letztlich zum
Tod. So sieht Mathilde sich wieder in ihre alten Lebensumstände
zurückgeworfen, zwar mit Witwenrente, aber doch nicht sehr viel
besser als vor der Heirat mit Hugo Großmann. Doch sie findet
sich schnell wieder zurecht und entschließt sich, nun selbst
Lehrerin zu werden. Mathilde sieht aber ein, dass sie nicht gegen
Hugos Naturell hätte ankämpfen sollen. Sie lernt für
ihr Examen und besteht es mit weitaus größerem Erfolg als
Hugo damals das seinige.
Zu
2:
Kurzcharakterisierungen:Corinna
Schmidt:
Corinna
Schmidt ist die 25-jährige Tochter des Doktors Willibald
Schmidt, einem Professor und Oberlehrer am Gymnasium zum Heiligen
Geist in Berlin. Sie ist "wuschelhaarig"6 und attraktiv.
Sie trägt moderne Kleidung und legt sehr viel Wert auf ihr
Äußerliches, herauszulesen in der Rede ihres Cousins
Marcell, der in Corinna verliebt ist, und um sie als zukünftige
Ehefrau wirbt, zu Corinnas Vater: "ich sah zu meinem Schmerz wie
veräußerlicht sie ist und wie die verdammte neue Zeit sie
in Banden hält."7 Das Bildungsbürgertum, in dem
Corinna aufwächst, hält nicht viel von materiellen Dingen.
Die Professorentochter sehnt sich jedoch danach. Ein Mann könnte
ihr dieses ermöglichen. Die junge Frau, die ohne ihre Mutter
aufwuchs, ist intelligent, unbefangen und klug. Die Haushälterin
der Schmidts war ihr jedoch zeitlebens ein Mutterersatz. Von ihrem
Vater ist sie zur Unabhängigkeit und Selbständigkeit im
Denken und Handeln erzogen worden. Sehr gebildet ist Corinna in
Gebieten wie Englisch, Geschichte und Politik auch. Sie ist sehr
unterhaltsam, schlagfertig, hat eine ganze Menge Charme, Esprit und
Witz. Das macht sie zu einer interessanten Gesprächspartnerin,
die den Männern oft überlegen ist. Ihr fällt es nicht
ein, ihr "Licht [...] unter den Scheffel zu stellen"8, wie
es die Moralvorstellungen der Zeit verlangen. "Ich habe meinen
guten Verstand und bin offen und frei und übe damit eine gewisse
Wirkung auf Männer aus"9, so beschreibt Corinna sich selbst
im Gespräch. Doch sie will auch nicht zu emanzipiert und
unnahbar sein, wirbt also noch mit weiteren Qualitäten: "...
dass ich nebenher auch noch kochen, nähen und plätten kann.
Ich bin ganz deutsch und ganz weiblich"10. Sie genießt die
Rolle der begehrenswerten Dame sehr, zieht die anderen in ihren Bann,
besonders Leopold, den Sohn des reichen Fabrikbesitzers Treibel, dem
diese ganze Werbung auch gebührt und den sich Corinna als
zukünftigen Ehemann ausgesucht hat. Er ist für sie der
Schlüssel zu Reichtum und Glück, denn sie will zu diesem
gelangen. Sie sehnt sich nach Vermögen und Wohlstand, "ein
Hang nach Wohlleben, der jetzt alle Welt beherrscht, hat mich auch in
der Gewalt, ganz so wie alle anderen."11 Durch ihre Werbung und
Klugheit bringt sie ihn dazu sich in sie zu verlieben und ihr einen
Heiratsantrag zu machen. Sie hat sich Leopold als Mann auch
ausgesucht, da er dümmlich und schwach ist. Diese Konstellation
bringt ihr nur Vorteile, sie kann so die Oberhand in der Familie
übernehmen. Ihr Vater macht sich nichts aus den Heiratsplänen
seiner Tochter, denn er lässt seiner Tochter die Freiheit,
eigene Entscheidungen zu treffen. Er ist sich sicher, dass sie
sowieso immer die Richtigen trifft. Corinna ist sich der Hochzeit
sicher, rechnet jedoch nicht mit dem Widerstand der Mutter Leopolds,
Frau Jenny Treibel. Sie ist entschieden gegen diese Hochzeit und kann
sie auch verhindern. Dass Korinna gegen Frau Jenny Treibel schneller
aufgibt als erwartet, liegt an der Einsicht, dass das
Besitzbürgertum, zu dem die Treibels gehören, das Geld
allein Ziel und Zweck des Lebens sieht. Diese Gesinnung hätte
ihre Erziehung, die allein auf Bildung und Charakterbildung beruht,
verleugnet, Corinna hätte sie in solcher Ehe verleugnen müssen.
"Besitz und Geld haben einen Zauber, wär es nicht so, so
wäre mir meine Verirrung erspart geblieben; aber wenn Geld alles
ist und Herz und Sinn verengt... -dann empört sich´s hier,
und das hinzunehmen wäre mir hart angekommen!"12 So
heiratet sie doch lieber ihren gebildeten, einfachen Cousin, der ihr
zwar nicht den Reichtum verspricht, aber das eigentliche Lebensglück,
die einfache Liebe.
Zu
3:
Corinna
Schmidt ist eine sehr unterhaltsame, selbstbewusste, offene,
gebildete Frau, die es versteht, geistreiche Konversationen zu
führen. Sie ist sehr sympathisch, witzig, attraktiv und wird von
ihrem Umfeld gemocht. Mathilde Möhring steht hier in einem
gewissen Gegensatz zu Corinna. Ihre Art ist weder aufregend noch ist
sie in irgendeiner Weise attraktiv. Sie ist langweilig, möchte
nicht viel von Vergnügungen wissen. Sie ist zufrieden, wenn sie
zu Hause ist und nicht viele Personen um sie herum hat. Corinna
hingegen genießt die Abwechslung vom Alltag auf den Landpartien
und Diners, die von der befreundeten Familie Treibel organisiert
werden. Mathilde würde sich auf diesen Unternehmungen nicht wohl
fühlen, würde sich von der Masse der Gäste lieber
zurückziehen, für sich allein sein. Mathilde wird von ihrem
Umfeld auch gemocht, besonders aufgrund ihrer höflichen Art,
jedoch kommt es nie zu tieferen Bindungen. Corinna wird von ihrem
Umfeld auf der eine Seite akzeptiert, für ihr Selbstbewusstsein
und ihren Bildungsreichtum bewundert, seitens der Hamburger
Schwiegertochter Helene Treibel, die das gesellschaftliche Idealbild
einer Frau verkörpert, allerdings missbilligt und beneidet.
Helene findet Corinna unweiblich, da sie sich "zuviel
herausnimmt"37 Es ist durchaus untypisch für eine Frau der
damaligen Zeit, sich so zu benehmen wie die Professorentochter.
Helene versucht nur ihre Eifersucht zu überspielen, denn sie
selbst ist langweilig und konservativ. Corinna findet bei
Gesellschaften immer sofort Anschluss und wird häufig von den
Männern bewundert. Das ist ihr auch durchaus bewusst. "Ich
habe meinen guten Verstand und bin offen und frei und übe damit
eine gewisse Wirkung auf Männer aus."38
Zum Ende des
Romans "Mathilde Möhring", wenn das Ehepaar in
Woldenstein lebt, entwickelt die junge Frau Mathilde auch eine
gewisse Art von Charme. Einwohner der Stadt finden sie sympathisch,
einem alten Grafen gefällt sie ganz besonders. Auf einer
winterlichen Schlittenfahrt überrascht sie mit Schlagfertigkeit
und entwickelt sich zu einer interessanten
Gesprächspartnerin.
Mathilde wächst ohne ihren Vater
auf, der ihr als gebildeter, intelligenter Gesprächspartner
innerhalb der Familie fehlt. Mathildes Denkkraft ist der ihrer Mutter
stark überlegen. Es ist die Tochter, die alle Entscheidungen zu
fällen hat, ihre Mutter umsorgen muss und versucht, die ältere
Frau von ihren Ängsten zu befreien, oder sie mit ihrer
Zuversicht versucht zu vermindern. Sie unterstützt ihre auch
finanziell. Das macht Mathilde zu einer starken Persönlichkeit,
die glaubt, dass Nichts und vor allen Dingen Niemand ihr helfen
könnte, mit dieser schwierigen Situation umzugehen. Sie denkt,
dass sie keine Freunde und keine Ablenkung vom Alltag braucht. Das
macht sie zu der einsamen Person, die sie ist, und aus welcher Rolle
sie sich nicht befreien kann, es jedoch versucht und Gefallen daran
findet.
Corinna wächst mit ihrem Vater auf, der der jungen
Frau alle Freiheiten lässt und ihr vertraut. Er drängt sie
nicht, Entscheidungen zu treffen, die er für richtig hält.
Der Professor weiß, dass seine Tochter intelligent genug ist,
sich ihren eigenen Weg durch das Leben zu bahnen. So ist er, als er
die Entscheidung Corinnas sich mit Leopold zu vermählen, hört,
nicht besorgt und versucht nicht, Corinna seinen Willen, dass sie
sich mit Marcell, den er für den durchaus kompetenteren
Lebenspartner für Corinna hält, verheiratet, aufzuzwingen.
Er erkennt frühzeitig, dass Corinna doch noch die richtige
Entscheidung treffen wird.
Corinna wächst ohne ihre Mutter
auf, doch ist ihr die Haushälterin ein gleichwertiger
Mutterersatz. Die Haushälterin selbst ist Witwe und hat keine
Kinder. So ist sie sehr aufopfernd für die Familie Schmidt.
Bei
Mathilde fehlt diese mütterliche und väterliche Wärme
und Liebe ganz. Von ihrer ängstlichen Mutter empfängt sie
keine Liebe, sie gibt ihr auch keine zurück. Die Mutter ist zwar
die wichtigste Person in ihrem Leben, doch ein liebevolles Verhältnis
existiert nicht. Es ist eher kühl und
zweckmäßig.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass Corinna
die weitaus kommunikativere und beliebtere Person ist. Mathilde macht
jedoch mit einem ausgeklügelten Plan auf sich aufmerksam und
verblüfft damit jeden Leser.
Die
Rolle der Frau gegen Ende des 19. Jahrhunderts:
Die
Hauptaufgabe der Frauen in dieser Epoche war es, einen Mann zu
heiraten und gute Hausfrauen und Mütter zu sein. Hochzeiten
entstanden keineswegs nur unter dem Aspekt der Liebe. Da Frauen
normalerweise keinen Beruf ausübten und es ihnen in vielen
Berufen auch nicht gestattet war zu arbeiten, mussten sie heiraten,
um sich den Lebensunterhalt zu sichern. Dieser war nach Stellung und
Stand des Mannes gerichtet. Frauen konnten sich also eine bessere
soziale Stellung nur durch eine Vermählung mit einem Mann
höheren Standes aneignen. Es gab auch klar definierte
Rollenverteilungen innerhalb der Ehe. Der Mann war das Oberhaupt der
Familie, die Frau hatte sich dem Mann unterzuordnen und ihm zu
gehorchen. Die Frau war nach August Bebel nur ein "Genussobjekt"
und wurde in der Ehe "ein Stück Eigentum des Mannes"39.
Hatte die Frau einen herrschsüchtigen Mann, konnte sie sich ihm
nur stillschweigend unterordnen, da sie alleine nicht überleben
konnte. Sie war also zeitlebens an ihn gebunden und musste sich alles
gefallen lassen.
Frauen stärkten ihren Männern den
Rücken, kochten für ihn, sorgten sich um den Haushalt und
die gemeinsamen Kinder. Die Frauen hatten also kaum Möglichkeiten
zur Selbstentfaltung, ihr Leben war sehr eintönig und brachte
keine großen Veränderungen und Vergnügen mit sich.
Frauen waren gesellschaftlich unfrei. Die einzige Ausnahme war, den
Beruf der Lehrerin anzunehmen. Frauen wurde diese Arbeit aber
wesentlich schlechter bezahlt als den Männern. So erhielt eine
Lehrerin in Hannover im Jahre 1900 1000 bis 2000 Reichsmark im Jahr,
ein Lehrer hingegen 2250 bis 5150 Reichsmark.40 Das reichte bei einer
alleinverdienenden, ledigen Frau gerade mal für die
bescheidensten Ansprüche.
Von einer Frau gab es auch
bestimmte Vorstellungen über deren Moral. Die Frau sollte bei
der Vermählung noch Jungfrau sein. Sex vor der Ehe wurde
tabuisiert. Die Eigenschaften der "perfekten Frauen" werden
im Goldenen A.B.C. für Jungfrauen41 wie folgend beschrieben: Die
Damen, die auf eine Heirat hofften, hatten reinlich und sittsam zu
sein. Diskretion, eine gute Erziehung sowie Nachgiebigkeit,
Bescheidenheit, Einsicht und jungfräuliche Reinheit waren
weitere Eigenschaften der jungen Damen. Tratschtanten sollten sie
nicht sein, Neugierde war ein Tabu, Geheimnisse herumerzählen
und über andere herzuziehen war ihnen verboten. Weibliche
Passivität und Zurückhaltung auf Festen und sonstigen
Konversationen waren erwünscht und verlangt. Sie sollten darauf
achten, den Ruf der Familie nicht zu schädigen. Auf ihr
Äußerliches mussten sie sehr viel Wert legen, sie mussten
schön anzuschauen sein. Wenn sie dann einen Mann bekamen, hatten
sie ihm unbedingt treu zu sein. Natürlich sollten sie auch ihrem
Liebsten aufs Wort gehorchen, sonst versprach das Goldene A.B.C. ein
unglückliches, unerfülltes Leben, das von Zank und Streit
mit dem Versorger der Familie geprägt war.
Dieses A.B.C.
nahmen sich sicher viele junge Mädchen zu Herzen, da sie alle
auf den richtigen Mann ihres Lebens hofften und nicht an den Falschen
geraten wollten.
Wie sehr Frauen In Deutschland übergangen
worden sind, zeigt sich sogar in Fontanes "Frau Jenny Treibel".
So wendet sich der Leutnant Vogelsang bei seiner Tischrede
ausschließlich den Männern zu und beachtet und würdigt
das Beisein der Frauen überhaupt nicht. Der Engländer
Nelson zeigt sich von diesem ungesitteten Vorgehen höchst
empört.
Zu
4:
Der Roman "Frau Jenny Treibel"
entstand in der Zeit von 1887 bis 1891. Den Roman "Mathilde
Möhring" schrieb Theodor Fontane in den Jahren 1891 und
1895/96. Zu diesem Zeitpunkt war die wichtigste literarische Strömung
der poetische Realismus (1848-1890), von der Theodor Fontane einer
der wichtigsten Vertreter war. Die Autoren schrieben im poetischen
Realismus über wahre Ereignisse, die sie jedoch nicht bei der
pudelnackten Wiedergabe beließen. Sie gestalteten den
vorgefundenen Stoff um und verflochten ihn mit dichterischen Mittel.
An der Epik, die den Poetischen Realismus dominiert, orientierten
sich die Autoren. Der Bildungsroman aus der Goethezeit und bewährte
Muster aus Klassik und Romantik waren ebenfalls Vorreiter des
Realismus. Die Schriftsteller mieden große
gesellschaftspolitische Probleme und wandten sich der Landschaft und
ihren Menschen zu. Die Wirklichkeit wurde durch Poesie verklärt
und verschönert.43
Das Zentrum des Romans bildete immer noch
das Individuum, was verwunderlich ist, da die Menschen zunehmend in
die Städte zogen und in einer der riesigen Fabriken auf eine
Arbeit hofften. Alle Arbeiter verschmolzen in einer großen
Menschenmasse und dem einzelnen Mensch wurde keine Aufmerksamkeit
geschenkt, er ging in der Masse unter.
Ein stilistisches Merkmal
dieser Art von Literatur ist der Humor. Dieser ermöglicht die
Distanz zwischen Wirklichkeit und der Literatur. Die Wirklichkeit
wird dem Leser nicht präsentiert, sie wird verschönert und
manchmal ins Lächerliche gezogen.
In den Romanen Theodor
Fontanes findet der poetische Realismus schärfere
gesellschaftskritische Formen, weist aber nur auf einzelne Fehler und
Schwächen des Gesellschaftssystems hin. Nie wendet er sich gegen
die Gesamtheit des Systems.
Theodor Fontane macht in den beiden
Romanen Gebrauch von der Verschönerung der Wirklichkeit.
Versetzen wir uns in die Lage Mathildes oder Corinnas! Wie schlecht
muss es den beiden klugen Frauen gehen, dass sie bereit sind, eine
Zweckehe mit einem Menschen zu führen, den sie nicht einmal
lieben oder begehren? Die Beziehungen sind von beiden genau geplant
und durchdacht. In diesem Vorgehen ist kein Platz zur "Verwirklichung
und Vollendung romantischer Liebe"44 in ihrem Streben nach
sozialem Aufstieg und Anerkennung. Die beiden jungen Frauen lernen
die wirkliche Liebe gar nicht erst kennen, so bedacht sind sie
darauf, dem Kleinbürgertum mit seinen Einschränkungen im
täglichen Leben zu entkommen. Für sie bedeutet eine
Hochzeit nur ein Emporsteigen in den Klassenrängen und
Einkommensklassen. Für dieses nehmen sie vorlieb mit den zu
ihnen unpassenden Charakterzügen der ausgewählten Männer.
zu
5:
Wie der Begriff anzeigt, geht es dem Realismus um die Wirklichkeit, d.h. um das, was im 19. Jh. oft unter Wirklichkeit verstanden wurde: die beobachtbare, durch die Sinne wahrzunehmende Wirklichkeit des Menschen und der Natur. Eine solche Auffassung von Realität grenzte sich bewusst ab von jeglichem Übernatürlichem (z.B. Religion), das man als Illusion, als "unwirklich" ansah.
Beispiele
Charles Darwin (1809-1882): Nach seiner Lehre ist die Natur geprägt vom Kampf der Arten um das Überleben. Nur diejenige Art setze sich durch, die sich der Umwelt am besten angepasst habe. Auch der Mensch sei Teil der Natur, das Produkt der Naturgeschichte (Evolution). Eine solche Auffassung widersprach der gängigen biblischen Lehre, nach der die Natur und v.a. der Mensch eine Schöpfung Gottes ist. Karl Marx (1818-1883): Philosophie, Religion, Recht und andere Geisteswelten seien nicht das, was sie vorgeben, sondern nur verschleierter Ausdruck ökonomischer ("realer") Interessen. Materialismus: philosophische Richtung, die die Materie, die objektive, außerhalb des Bewusstseins existierende Wirklichkeit als das Primäre, Bestimmende ansieht. |
Solchem Denken entsprach die gesellschaftlich-historische Entwicklung des 19. Jh. Das Materielle, Ökonomische gewann immer mehr an Bedeutung.
Stichworte
Ausbreitung der Industrialisierung, des Kapitalismus bis zu einem weltweiten System (Imperialismus);
Bürgertum wird zur beherrschenden Klasse, Aufkommen der Arbeiterklasse, soziale Frage, Arbeiterbewegung;
Fortschritt der Technik
2. Realismus als literarisches Prinzip Die literarische Entsprechung zu den skizzierten Zeitströmungen war der Realismus. Er ist erst in Verbindung mit zwei anderen literaturgeschichtlichen Epochen hinreichend zu verstehen: der Klassik und der Romantik.
REALISMUS |
KLASSIK |
ROMANTIK |
ernsthafte Behandlung von alltäglichen menschlichen Problemen |
vom Alltäglichen konnten nur "niedere" Gattungen handeln (z.B. Komödie) |
Errichtung einer wirklichkeitsfernen Welt |
von beliebigen Individuen in einem ganz bestimmten gesellschaftlichen, historischen Kontext |
meist bekannte oder typische Figuren, die wie Ort und Zeit von der Tradition vorgegeben waren |
|
in verständlicher Darstellung (Prosa) |
Verstehen erfordert Kenntnisse der Tradition, bestimmter literarischer Formen, Umgang mit einer besonderen Sprache |
3. Die Hauptgattung des Realismus: der Roman Am den Merkmalen des literarischen Realismus wird deutlich, dass der Roman ihnen am besten gerecht werden konnte. So sind die namhaftesten Werke des Realismus Romane. Richtungsweisend waren v.a. die der französischen und der russischen Realisten.
4. Der poetische Realismus in Deutschland Der poetische Realismus ist die deutsche Variante des europäischen Realismus. Das Attribut "poetisch" muss nach allem, was über den Realismus gesagt wurde, als widersprüchlich erscheinen. In der Tat bedeutet dies, dass der deutsche Realismus im Vergleich zu dem französischen als weniger "realistisch" angesehen werden kann. Die deutschen Realisten selbst haben sich bewusst sowohl von der Romantik als auch von einem schonungslosen Realismus distanziert.
Die Ursachen für diese eigenständige Entwicklung liegen in der besonderen Situation Deutschlands im 19. Jh.:
Das Vorbild der Klassik (Goethe, Schiller) wirkte auf die nachfolgenden Schriftstellergenerationen normbildend.
Bis 1871 war Deutschland in Kleinstaaten aufgesplittert, die Industrialisierung setzte relativ spät ein, so dass lange provinzielle, ländliche, idyllische Verhältnisse erhalten blieben.
Theodor Storm (1817-1888) Novellen (z.B. Der Schimmelreiter") Gottfried
Keller (1819-1890) "Der grüne Heinrich" (Roman),
Novellen Theodor Fontane (1819-1898) "Effi
Briest", "Der Stechlin", "Irrungen Wirrungen",
|
5. Zu Drama und Lyrik Die Lyrik als die subjektivste der drei literarischen Grundgattungen eignete sich für die ästhetischen Prinzipien des Realismus am wenigsten. So wirkte in der Lyrik der Realisten das Vorbild von Klassik und Romantik am deutlichsten nach.
Das Drama entdeckte die Misere der gesellschaftlichen Realität als möglichen Gegenstand erst im Naturalismus. Zu erwähnen ist für den Realismus Friedrich Hebbel (1813-1863, "Maria Magdalena"), dem es aber mehr um die Wiederbelebung traditioneller Gattungen (z.B. der Tragödie) ging als um die Darstellung sozialer Probleme.
Auch Georg Büchner (1813-1837, "Dantons Tod", "Woyzeck") kann dem Realismus zugerechnet werden. Sein Werk hat aber in vielerlei Hinsicht Ausnahmecharakter.