Die Brücke - ein Kultfilm und die Wirklichkeit

Interview mit Gregor Dorfmeister

Der Kultfilm "Die Brücke" erzählt von sieben Jungen, die bei Kriegsende 1945 in der Nähe einer bayrischen Kleinstadt eine Brücke gegen die heranrückenden amerikanischen Truppen verteidigen. Die ZDF-Autoren Susanne Stenner und Thomas Müller sprachen mit Gregor Dorfmeister, dem Autor der Romanvorlage: Er wurde als 16-jähriger Hitlerjunge ins Gefecht um die Tölzer Isarbrücke geschickt - und überlebte als einziger.

 

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14.08.05 23:30 Uhr

 
 
Die Brücke - ein Kultfilm und die Wirklichkeit  
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"Ich wollte nicht sterben"  
"Wir sind gnadenlos gedrillt worden"  
 
Noch Kind - und schon Soldat. Gefangener der US-Armee, 1945.

Unter dem Pseudonym Manfred Gregor schrieb Gregor Dorfmeister 1958 den Roman "Die Brücke", der 1959 von Bernhard Wicki verfilmt wurde. Vielfach ausgezeichnet wurde das Werk bald zum Kultfilm. Er erzählt von sieben Jungen, die bei Kriegsende 1945 in der Nähe einer bayrischen Kleinstadt eine Brücke gegen die heranrückenden amerikanischen Truppen verteidigen - ein erschütterndes Antikriegs-Epos über das sinnlose Sterben 18-jähriger Schüler.

History sprach mit Gregor Dorfmeister über die realen Begebenheiten, die dem Film zugrunde liegen. Bei Kriegsende schickte das "Dritte Reich" Scharen von Jugendlichen im so genannten Volkssturm gegen die vorrückenden Alliierten in den Kampf. In der Nähe von Bad Tölz wurde Dorfmeister mit einer Gruppe von Hitlerjungen zur Verteidigung von Brücken abkommandiert. Anders als im Film waren die Jugendlichen erst 16.

 
   

Im Interview berichtet Dorfmeister über den Einsatz an der Isarbrücke in Bad Tölz, den er als einziger überlebte, über seine Mitgliedschaft in der Hitlerjugend und den militärischen Drill in der SS-Junkerschule in Bad Tölz.

 
 
  »Ich sah zwei Burschen tot auf der Brücke liegen, in SS-Uniform. Dem einen war der Stahlhelm übers Gesicht gerutscht, der andere lag auf dem Rücken, die Augen weit offen, als ob er die Welt nicht verstünde«  
 

ZDF: Herr Dorfmeister, was hat Sie dazu bewogen, das Buch "Die Brücke" zu schreiben? Wie Sie im Vor- und Nachwort andeuten, gab es dafür einen konkreten Anlass.

Dorfmeister: Am Morgen des 2. Mai 1945 - ich war wieder zu Hause angelangt in der Nacht - ging ich in die Stadt, weil ich sehen wollte, wie mein Tölz ausschaut nach dem Einmarsch der Amerikaner. Es war ein schöner Tag, ein schöner Morgen, weil nochmal ein Wintereinbruch erfolgt war. Ich ging zur Isar-Brücke hinunter, wo ich meine zwei Kameraden verlassen hatte und sah zwei Burschen tot auf der Brücke liegen, in SS-Uniform. Dem einen war der Stahlhelm übers Gesicht gerutscht, der andere lag auf dem Rücken, die Augen weit offen, als ob er die Welt nicht verstünde. In ihm habe ich meinen Freund Knut erkannt.

 
 
  »Da spuckte die Frau plötzlich auf die beiden Toten«  
 

Und wie ich wirklich erschüttert und todtraurig dieses Bild sehe, kommt eine ältere Frau aus der Marktstrasse auf die Isar-Brücke. Am Brückengeländer lehnte ein amerikanischer GI, mit Karabiner umgehängt, Zigarette rauchend, lässig - wie sie halt waren. Und wie die Frau auf Höhe des GI war, spuckte sie plötzlich auf die beiden Toten. In den seit 1945 vergangenen Jahren hat sich dieses eine Bild förmlich eingebrannt in mir. Es hat mich eigentlich nie mehr losgelassen. Es war für mich der Anlass, das Buch zu schreiben... Mir ging es auch darum, den Erwachsenen die Frage zu stellen: 'Was habt ihr eigentlich von uns erwartet - nach allem, was ihr uns gelehrt hattet?' Ich wollte den Überlebenden und noch mehr den Toten gerecht werden.

 
   

ZDF: Was haben Sie empfunden, als diese Frau, die ja eine Erwachsene war, auf die Toten spuckte? War es das Gefühl, ausverkauft worden zu sein?

 
 
Gregor Dorfmeister

Dorfmeister: Verraten zu werden - das Gefühl war spontan da. Und ich war völlig überrascht. Natürlich habe ich auch versucht, die Motive dieser Frau zu ergründen. Ich stellte mir vor, dass sie sozusagen einen Knicks vor dem Amerikaner machen wollte mit dieser Geste. Persönlich konnte sie gegen die beiden Burschen nichts haben, sie konnte sie ja gar nicht kennen. Möglicherweise war es der Umstand, dass sie SS-Uniformen trugen. Die habe ich auch getragen, es ist uns ja gar nichts anderes übriggeblieben. Man hat uns eingezogen zum Volkssturm und hat uns diese Uniformen angezogen. Da gab's kein großes Fragen in dieser Zeit. Natürlich bin ich oft der Frage nach unserer Motivation begegnet. Ein cooler Teenager von heute sagt natürlich: 'Warum wart ihr so blöd und habt das mitgemacht?' Ich kann nur antworten: Gott sei Dank können Sie diese Frage heute stellen. Wir hätten sie damals nicht stellen können.

 
   

ZDF: Sie waren damals zum Volkssturm eingezogen worden. Wie kam es genau zu Ihrem Kriegseinsatz?

 
 
  »Wir wurden zu Panzer-vernichtungs-kommandos aufgestellt, ausgestattet mit Infanteriewaffen und Panzerfäusten«  
 

Dorfmeister: Als ich von einem genehmigten Ausgang, den ich erhalten hatte, um meinen im Reservelazarett liegenden schwer verwundeten Bruder zu besuchen, zurückkam, erlebte ich auf dem Kasernengeviert ein absolutes Chaos, Aufbruchstimmung. Teile der Truppen sollten in Richtung Osten abfahren, andere gefechtsbereite Abteilungen wurden zusammengestellt, um letzte Verteidigungsmaßnahmen im Isar-Winkel zu treffen. Weil ich natürlich suchend umherschaute, wurde ich gefragt, wo ich hingehöre und ich sagte 'Tölzer Volkssturm'. Per Fingerzeig machte man mir klar, wo ich mich anschließen sollte. Das war eine Gruppe von Burschen, von denen ich nur einen einzigen kannte, weil er in der Ausbildung in unserer Gruppe war. Ein Junge mit Vornamen Knut, den Nachnamen habe ich nie erfahren.

 
   

Mir wurde klar, dass hier sogenannte Panzervernichtungskommandos aufgestellt wurden. Das waren in der Regel acht, neun Mann, ausgestattet mit Infanteriewaffen und mit Panzerfäusten. Einige der Gruppen hatten auch leichte Maschinengewehre. Das verlief etwa so, wie man es im Film 'Die Brücke' sehen kann. Wir haben noch eiserne Rationen bekommen, zwei Blutwurstbüchsen und eine Art Zwieback, von uns als Hundekuchen bezeichnet. Dann fuhren wir mit Lastwagen los. An der Loisach wurden wir vor einer kleinen Brücke abgeladen. Da hatten offenbar andere Volkssturmmänner, die schlauer waren als wir und das Feld verlassen hatten, provisorische Schützenlöcher ausgehoben. Darin haben wir Stellung bezogen.

 
   

ZDF: Als Sie an der Brücke ankamen, hatten Sie da auch das Gefühl: Schaut mal, die Alten machen sich aus dem Staub, aber wir... Empfanden Sie da auch ein bisschen Stolz?

 
 
Isarbrücke in Bad Tölz

Dorfmeister: Stolz hat für uns eine große Rolle gespielt. Wir waren stolz darauf, dass man uns eine ernste Aufgabe zugeteilt hatte. Auch Gehorsam spielte in unserer gesamten Erziehung eine große Rolle. Einer der meistgehörten Sätze in meinen Jugendjahren war - von allen möglichen Seiten her: 'Wer einst befehlen will, muss erst gehorchen lernen.' Disziplin, was ja auch eine Tugend sein kann, war für uns eine absolute Selbstverständlichkeit. Und das vielleicht Entscheidendste war das Bewusstsein, einer Gemeinschaft anzugehören und für diese Gemeinschaft mit verantwortlich zu sein. Das heißt: In dem Moment, wenn ich hier rausspringe, lasse ich die anderen im Stich. Das war vielleicht der schwerwiegendste Grund für unsere - ich sage in Anführungszeichen -'Blödheit'.

 
   

ZDF: In dem Moment, als Sie von dem Laster sprangen, gab es da auch eine gewisse Gruppendynamik? Man selber empfindet vielleicht Angst, denkt: Eigentlich würde ich gerne weg hier. Aber man will sich keine Blöße geben vor den anderen?

 
   

Dorfmeister: Als wir von dem Laster stiegen und dann unsere Munitionskisten runterhievten, da war unsere Lust auf das ganz große Abenteuer - so möchte ich sagen - schon ein bisschen verflogen, weil wir die Brücke als völlig unbedeutend erkannten. Auch als 16-Jährigen war uns klar, dass der Krieg ohnedies verloren war, und dass an dieser Brücke nichts mehr zu retten war. Um so überraschender war es dann, als tatsächlich ein amerikanischer Panzer auftauchte. Wir hatten damit eigentlich gar nicht gerechnet.

 
   

ZDF: Sie haben ja überlegt, an welcher Seite der Brücke Sie Stellung beziehen sollten. Wenn Sie das heute vom Strategischen, Militärischen her betrachten - war das sinnvoll?

 
 
  »Es war völlig idiotisch, wie wir Stellung bezogen haben. Es war Räuber-und-Gendarm-Spielen. «  
 

Dorfmeister: Vom Taktischen her war die Art und Weise, wie wir Stellung bezogen, völlig idiotisch. Es war Räuber-und-Gendarm-Spielen. Geschulte Militärs hätten die Brücke deutlich vor dem Brückenkopf im Westen verteidigt. Für uns spielte eine Rolle, dass das Wetter alles andere als freundlich war an diesem Tag. Das war so ein Nieselregen und es begann zu schneien, immer wieder. Der Fluss wirkte beim Hinschauen zwar nicht reißend, aber so tief, dass uns beim Durchqueren das Wasser mit Sicherheit über den Kopf gegangen wäre. Das hat uns am meisten dazu bewogen, uns auf der Ostseite zu verschanzen, und auch einige Löcher, die dort schon vorhanden waren.

 
   

ZDF: Für die Amerikaner waren Sie natürlich auch eine Überraschung...

 
   

Dorfmeister: Absolut. Die hatten mit Sicherheit überhaupt nicht mit uns gerechnet.