Am Sickingen-Gymnasium Landstuhl läuft seit drei Jahren ein Austausch mit Polen

 

„Melanie, hast du Lust nach Polen zu fahren?“ Diese Frage stellte mir mein Lehrer zu Beginn des Jahres. Denn seit drei Jahren findet zwischen meiner Schule, dem Sickingen-Gymna­sium Landstuhl, dem Lyceum in Kety sowie dem Gymnasium in Nowa Wies ein Austausch statt.

Polen? Über Polen wusste ich eigent­lich kaum etwas - außer, dass die Hauptstadt Warschau ist und Polen zu den ehemaligen „Ostblockstaaten“ ge­hörte. Ich hatte mich bisher nicht für das Land interessiert, doch neugierig wurde ich doch. Mit gemischten Ge­fühlen bestieg ich den Bus... Es war eine Reise ins Unbekannte: Was ver­birgt sich hinter dem Land, das nächs­tes Jahr der Europäischen Union bei­treten wird? Wie leben die Menschen dort? Welche Träume und Hoffnun­gen haben die Jugendlichen?

Die Unterschiede zwischen Polen und Deutschland sieht man auf den ers­ten Blick: Irgendwie ist alles anders. Die Straßen, die Autos, die Geschäfte. „In Deutschland ist alles modern und gepflegt“, meint Camilla Grzywa (17), die jetzt zum Gegenbesuch nach Land­stuhl kam. Sie kommt aus Bielsko-Biala, einer Stadt mit rund 30.000 Einwoh­nern. Trotz dieser Größe kann man Bielsko nicht mit einer deutschen Stadt vergleichen: „Es gibt nur wenige Geschäfte, kaum Supermärkte und nur wenige moderne Häuser.“ Wer diese Entwicklung verstehen will, muss auch etwas über die polnische Geschichte wissen: Erst seit 1989 gibt es in Polen eine Demokratie. Vorher war Polen kommunistisch und lag hinter dem „Ei­sernen Vorhang“. Mit dem Zusammen­bruch der osteuropäischen Staaten, än­derte sich das Leben für die polnische Bevölkerung. Viele Unternehmen wurden geschlossen, die Menschen wur­den arbeitslos. Camilla: „Die Arbeitslo­senquote liegt bei rund 20 Prozent. Das sind nur die offiziellen Zahlen, es gibt auch viele Menschen ohne Arbeit, die gar nicht gemeldet sind.“

Die Wohnung, in der ich lebte, war sehr klein für eine vierköpfige Fami­lie-: drei Zimmer, eine kleine Küche und ein kleines Bad - aber trotz allem sehr gemütlich eingerichtet. Die Polen verdienen weitaus weniger als Deut­sche. Auch wenn die Preise für Lebens­mittel sehr billig sind, kostet es für pol­nische Familien ein kleines Vermögen, einen Gastschüler aufzunehmen. Wäh­rend meines Aufenthalts bekam ich je­doch alles, was ich brauchte und meist noch viel mehr. Und angesichts der deutsch-polnischen Geschichte ist die­se Gastfreundschaft gar nicht so selbst­verständlich: Während des Zweiten Weltkrieges war Polen von den Deut­schen besetzt, viele Menschen starben.

Kety liegt in der Nähe von Auschwitz. Dort befand sich das größte Kon­zentrationslager der Nazis. Dominika Krufka (18) erzählt: „Die älteren Men­schen sind noch immer misstrauisch gegenüber den Deutschen. Es ist ver­ständlich, nach allem, was geschehen ist.“ Aber: „Ich kann die jüngere Gene­ration nicht für diese Verbrechen ver­antwortlich machen. Wichtiger ist, dass wir Vorurteile abbauen und uns für eine bessere Zukunft und mehr Zu­sammenarbeit einsetzen.“

Polen wird im Mai 2005 der EU bei­treten. Was erhoffen sich die Jugendli­chen davon? „Für mich bedeutet der Beitritt eine bessere Zukunft, eine bes­sere Ausbildung und eine bessere Ar­beit. Und wenn es mir nichts mehr nützt, dann wenigstens meinen Kindern“, meint Stefan Hejnowicz (17).

Im Gegensatz zu vielen anderen Polen hat er keine Angst, dass sich an der polni­schen Kultur etwas ändert. Er hat schon viele EU-Staaten besucht und festgestellt: „Die Deutschen lieben noch immer deutsches Bier und deut­sche Autos, die Engländer haben noch immer eine Monarchie und lieben die Queen.“ Die Wahlbeteiligung in Polen liegt bei 40 bis 50 Prozent - das ist zu wenig. Stefan hofft, dass sich das durch den EU-Beitritt verändern wird: „Viel­leicht gewinnen die Menschen dadurch etwas mehr Vertrauen in die Politik und lernen mehr über Demokratie.“

Deutschland hat die polnischen Gäs­te tief beeindruckt. „Ich fand vor allem die großen Städte wie Heidelberg oder Trier sehr schön. Es ist alles so mo­dern“, berichtet Krazyna (16). Sie lernt wie alle anderen polnischen Schüler Deutsch in der Schule. Wo liegen die größten Unterschiede? „Wir beten sehr viel und gehen oft in die Kirche - das ist wichtig für uns.“


Polnische Schüler zu Gast in Landstuhl - es gibt auch viel Gemeinsames: „Wir haben die gleichen Sorgen: Schule, Eltern, Freunde, Liebe“, sagt eine Schülerin aus Kety nach dem Besuch in der Pfalz.  Foto: Müller

 

Sie will nächstes Jahr wieder nach Deutschland kom­men. Genau wie Camilla: „Ich denke nicht, dass es die deutschen Jugendli­chen leichter haben als wir Polen. Na­türlich gibt es in Deutschland mehr Wohlstand und viele Möglichkeiten, aber im Grunde genommen ist das Le­ben auch nicht anders. Wir haben die gleichen Sorgen: Schule, Eltern, Freun­de, Liebe. Das habe ich beim Austausch gelernt." Sie ist, wie alle anderen der Meinung, dass ein Austausch nicht nur zur Verständigung zwischen den Kultu­ren beiträgt, sondern vor allem Vorur­teile abbaut. Und Dominika fügt hinzu: „Letztes Jahr in Holland wurde ich ge­fragt: ,Polen - wo liegt das?' Sie wussten nicht einmal, dass mein Land in Europa liegt.“

Dies wird ihr - zumindest an mei­ner Schule - nicht mehr passieren!

von Melanie Müller