Luna Brauer: Das Unheimliche

anhand Siegmund Freuds Psychologischen Schriften und im Bezug auf die Erzählung „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann

 

Siegmund Freud preist E.T.A. Hoffman als den „unerreichte(n) Meister des Unheimlichen in der Dichtung“, womit er sicherlich Recht hat, denn das irrationale Gefühl des Unheimlichen ist eines seiner wichtigsten benutzten „ Werkzeuge“, um seinen Sinn für Teleologie im Sandmann möglichst erfolgreich zu erzielen.

Das Gefühl des Unheimlichen ist deshalb ein Irrationales, da man es in keinem „scharf zu bestimmenden Sinne gebraucht“, sondern eher auf persönlichen Assoziationen beruht. Es ist daher nichts Fremdes, ganz im Gegenteil ist es etwas Seelenleben vertrautes, das durch den Prozess der Verdrängung überwunden und damit entfremdet worden ist und im Affekt in Form von Angst wieder in das Bewusstsein vorstößt. 

 

Die Motive des Unheimlichen in „Der Sandmann“ lassen sich zwei Naturen zuordnen: Das subjektive Gefühl des Unheimlichen und das Objektive!

 

Das subjektive Gefühl des Unheimlichen schildert Nathanaels Kindheitstrauma, das sich wegen folgenden ihn verstörenden Situationen aus seiner Kindheit entwickelte:

-         Der wöchentliche Besuch des Sandmannes und das auffällig dystyme Verhalten seiner Eltern an den besagten Abenden und ganz besonders das Poltern auf der Treppe, das sein Kommen ankündigt.

-         Die Aussage der Amme: „Der Sandmann ist ein ganz böser Mann!“

-         Der Moment, in dem Nathanael den Advokaten Coppelius in dem Gesicht des Sandmannes erkennt und sein Schreckensbild an Deutlichkeit und einen neuen Namen gewinnt. Er verbindet nun auch vorausgehende Erinnerungen an den Advokaten damit, wie zum Beispiel wie dieser das Essen der Kinder berührte um ihnen den Appetit zu verderben.

-         Das Bild von dem erschreckend verzerrten Gesicht des Vaters in den Flammen.

-         Die verspürte Angst, als Coppelius Flammenkörner in seine Augen zu streuen droht und der erlebte Schmerz beim „Abschrauben“ der Gelenke.

Vor allem die zwei letzten Punkte verleiten Freud zu der psychoanalytischen Auffassung, dass die Entfremdung von dem Vater und die Angst vor dem Verlust der Augen zu einem infantilen Kastrationskomplex führten. Tatsächlich tritt der Sandmann immer wieder als Störer von Nathanaels Liebesleben auf: Die grausigen Gedichte über ihn verschrecken Clara und auch vernichtet der das „ zweite Liebesobjekt“, nämlich die Puppe Olympia, der er schließlich die falschen Augen ausreißt und so Nathanaels Täuschung in dieser „Frau“ verdeutlicht. Auch scheint Nathanael sein Vertrauen in offensichtliche und auch sehbare Begebenheiten verloren zu haben. Der Sandmann wird zu seinem ständigen gedanklichen Begleiter, denn in jeder Situation scheint er ihm nahe, so dass Nathanael sich schon in einer Art Illusionismus befindet. Er vermischt seine fantastischen Bilder mit denen der Realität und kann so Wirklichkeit von Illusion nicht unterscheiden. Diese verzerrten Bilder könnten auch der Grund für den ihn befallenden Wahnsinn sein. Zum Beispiel ruft er in der Schlussszene auf dem Turm in Bezug auf Clara „ Hui – hui – hui! – Feuerkreis! Dreh` Feuerkreis – lustig – lustig! Holzpüppchen hui, schön Holzpüppchen dreh` dich!“. Hier mischt er verschiedene und eigentlich nicht zusammenhängende Erfahrungen, denn der „Feuerkreis“ rührt wahrscheinlich aus der Erinnerung an die erste Begegnung mit dem Sandmann im Arbeitszimmer seines Vaters und das „Holzpüppchen“ steht im Zusammenhang mit Olympia.

 

 

 

Die objektive Sichtweise auf diese mysteriöse Geschichte wird vom Leser eingenommen.

Am Anfang kann der Leser die Ängste von Nathanael nicht verstehen, geschweige denn nachvollziehen, ja er macht sich vielleicht sogar etwas lustig über ihn. Auch fragt er sich oft ob er es an manchen Passagen mit einem Delirium Nathanaels oder doch mit einem Bericht zu tun hat. Am Anfang schafft er es noch den „nüchternen Sachverhalt“ zu erkennen, jedoch wird ihm dies von Seite zu Seite immer schwerer gemacht. Langsam schleicht sich Verwirrung ein: Der Leser kann nicht mehr auf die vorausgegangene Annahme vertrauen, dass sich die ungeheuerlichen Begebenheiten nur in Nathanaels Fantasie abspielen und keine wahrhaftigen Wirklichkeitselemente besitzen. Die Verwirrung ist lediglich die Basis auf das folgende ausbreitende Gefühl der Unheimlichkeit, was Jentsch als „psychologisches Manöver“ bezeichnete. Ein gutes Beispiel hierfür ist Olympia, der Automat: Die Tatsache, dass die schöne Tochter des Professors in Wirklichkeit ein Automat ist, wird dem Leser nicht direkt offenbart, sondern es gibt lediglich ein paar versteckte Hinweise, wie von dem Freund Nathanaels, dass ihm diese Frau seltsam vorkäme. Die Wahrheit wird also nicht direkt in den Brennpunkt gestellt und so „puzzelt“ sich das Bild der Olympia nur langsam in den Gedanken des Lesers zusammen und die Unheimlichkeit schleicht sich leise ein. Schon die Beschreibung Olympias Blicks, die man noch im Glauben an ihre Menschlichkeit erhält, könnten Anlass einer unbestimmten unheimlichen Regung sein.

Laut Siegmund Freud hat Hoffmann das Recht seine Geschichte in einem von ihm auserwählten „Schauplatz“ passieren zu lassen und wir haben die Pflicht„ihm darin nachzugeben“ und seine „Welt“ im Rahmen seiner „Darstellung“ als Realität zu akzeptieren.