Tobias König

 

Textgebundene Erörterung zu Thomas Koebner : Die Lösung als Verständigung

 

In dem Drama „Nathan der Weise“ werden krasse Gegensätze einzelner Personen oder Personengruppen abgemindert oder sogar ganz vermieden. In den meisten Fällen ist eine derartige Verständigung vollständig möglich. Doch damit sich die Gesprächspartner im „Nathan“ verstehen und sich gegenseitig überzeugen lassen, müssen erst gewisse Wandlungen der einzelnen Personen vollzogen werden, wie zum Beispiel beim Tempelherrn, der seine sture, vorurteilsgeprägte Haltung aufgibt, weil er plötzlich etwas für Recha, die vermeintliche Tochter des Nathan , empfindet. Da diese Jüdin ist, wird ihm allmählich klar, dass es nicht darauf ankommt, welcher Religion man angehört, sondern wie herzensgut ein Mensch ist. Die Religion tritt in den Hintergrund.

Eine weitere Wandlung erfährt Nathan, die Hauptfigur des Dramas. Er selbst ist gezwungen seine Vaterrolle zu seiner angeblich leiblichen Tochter zu überdenken und neu zu bestimmen. Das Verhältnis der beiden ändert sich während des Dramas, denn Recha emanzipiert sich, was zur Folge hat, dass sie nun selbst beginnt nachzudenken und eigene Entscheidungen zu treffen. Doch ist sie insoweit auch ein Stück weit tolerant, da sie sich von Nathan ganz zu Beginn des Buches noch überzeugen lässt, dass es kein Engel war, der sie rettete, sondern ein „gewöhnlicher“ Mensch. Thomas Koebner bringt noch ein letztes Beispiel, nämlich das des Tempelherrn. Dieser befindet sich nach der Rettung Rechas in Zwietracht mit seinem eigenen Denken. In ihm beginnt, wie oben schon erwähnt, ein Entwicklungsprozess, indem er einsieht, dass er etwas für Recha übrig hat und hat dennoch noch die Vorurteile gegenüber Juden. Doch der Wandel vollzieht sich und plötzlich ist aus dem Tempelherrn ein völlig neuer Mensch geworden, der jetzt auch ein neues Vorbild hat – Nathan. Der Tempelherr ist von Nathan beeindruckt, von seiner Art wie er mit den Menschen aller Art umgeht. Die Toleranz und die Verständigung beginnen sich bei ihm auszubilden, bis aus dem vorurteilbehafteten Tempelherrn ein neuer, verständnisvoller  und toleranter Mensch geworden ist.

         Man sieht an diesen Beispielen, dass der Wandel ein entscheidender Faktor ist, um den Verlauf des Dramas am Leben zu erhalten und die Menschen einander näher zu bringen.

Doch dieser Wandel ist eine Entwicklung, die sich über lange Zeit vollziehen muss. Deshalb kommt es auch zu einem eher langsamen Zusammenschließen der Personen bis zum Ende. Dort treffen sich dann alle Hauptcharaktere zur Schlussszene.

Doch es gibt auch Personen, die nicht ins Gespräch miteinander kommen, da die Überbrückung von Vorurteilen nur bedingt möglich ist. Der Patriarch, ein fanatischer Anhänger des Christentums, kann unmöglich mit einen toleranten Menschen wie Nathan reden, da ein Gespräch unter solchen Bedingungen nicht möglich wäre.

Koebner thematisiert in seinem Text nicht nur die Verminderung oder Vermeidung der Gegensätze der Personen, sondern auch den „Weltzustand“.

Der „Weltzustand“ erscheint nicht heilbar, denn dazu sind die Vorurteile in den Köpfen der Beteiligten zu sehr verankert. Es besteht eine gesellschaftliche Struktur, die von Vorurteilen geprägt ist und als fast unverändert angesehen wird. Doch liegt es nicht im Bereich des Unmöglichen Korrekturen an solchen „starren Fronten“ vorzunehmen. Wenn jeder ein Stück weit toleranter im Umgang mit seinen Mitmenschen wäre, dann könnten Konflikte, schon gar nicht in dieser Form, entstehen. Doch der Mensch ist ein Wesen, das fehlerhaft ist und es nicht immer über sich bringt Toleranz vorzuleben oder überhaupt tolerant zu sein. Koebner schreibt, dass der Trieb nach Macht in jeder Sekunde vorhanden ist und dass dieser fast ausschließlich durch die Verdrängung des Mitmenschen befriedigt werden kann. Es wird in der Welt immer zu meist religiösen Konflikten kommen, wenn dieser Trieb nach Macht und Einfluss nicht unterdrückt werden kann. Die Toleranz eines jeden Menschen spielt die zentrale Rolle, durch die die Welt  Stück für Stück besser gemacht werden könnte. Im „Nathan“ kann es nur zu geringfügigen Änderungen am „Weltzustand“ kommen, da es ja um Einzelpersonen geht und nicht die ganze Welt eine Wandlung vollzieht, sondern um Einzelpersonen im Drama, wie beispielsweise der Tempelherr oder Recha.

                       „Nathan der Weise“ kann man als „Drama der Verständigung“ bezeichnen. Es vereint nahezu alle Charaktere. In jedem Dialog wird deutlich, dass Verständigung und Toleranz vorhanden ist, denn sonst würde ein vernünftiges Gespräch nicht zu führen sein. Doch nur die Lebenserfahrung und das Verständnis für die Situation des anderen ermöglichen ein solches Verhalten. Denn ohne diese Faktoren ist eine vernünftige und früchtetragende Konversation nicht möglich.

Koebner schreibt, dass eine Tendenz in allen Dialogen besteht, die das Drama zu einem „Drama der Verständigung“ werden lässt. Und diese Tendenz ist eine Tendenz der Verständigung, die Koebner in drei Teile unterteilt. Zum eine muss man sich begreiflich machen, damit der Gesprächspartner versteht, was man ihm übermitteln will und dass er den Standpunkt des anderen erkennt.

Zum Anderen ist es die Pflicht des jeweiligen Gesprächspartners um das Verständnis besorgt zu sein und dafür zu werben. Im Klartext bedeutet das, wie schon oben erwähnt, dass man seinem Gegenüber seinen Standpunkt näher bringt und erklärt. Dabei ist es wichtig, darauf zu achten, sich nicht in Behauptungen zu verlieren, sondern zu argumentieren. Im „Nathan“ kann man das Gegenteil an der Person Daja feststellen. Sie behauptet nur und argumentiert nicht, was dazu führt, dass sie sich selbst widerspricht und sie sich auch in keiner Weise durchsetzen kann. Deshalb ist das Gespräch zwischen Nathan und Daja eher schlecht, da Nathan Argumentation nichts gegen Dajas sture Überzeugung ankommt und er sie somit nicht überzeugen kann. Doch ein Gespräch dieser Art bleibt die Ausnahme.

Der letzte Punkt der Interpretation Koebners von Verständigung ist das Herstellen von Einverständnis. Das heißt, man muss nicht immer Recht haben und es ist bestimmt keine Schmach, sich einmal einzugestehen, dass man einmal im Unrecht ist. Man kann sich viel eher glücklich schätzen seine, in diesem Fall, falsche Meinung abzulegen und die richtige Einschätzung einer Situation anzuerkennen und anzunehmen.

Diese drei „Klassen“ der Verständigung sollen von der Menschheit eingehalten werden, ein Wandel in der Gesellschaft soll sich vollziehen. Doch  das ist eher unrealistisch, denn überall auf der Welt wird es auch weiterhin intolerantes Verhalten geben. Doch das „Drama der Verständigung“ ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn eins steht fest: Wenn wir so weitermachen, vor allem mit dem religiösen Fanatismus und Antisemitismus, dann wird diese Welt nie zur ruhe kommen und es wird noch einige Konflikte und Reibereien geben, vor allem zwischen den Religionen.

„Nathan der Weise“ kann man getrost als „Drama der Verständigung“  bezeichnen, doch eine Verständigung bleibt aus. Gemeint ist natürlich , dass es zu keinem Dialog zwischen Nathan und dem Patriarchen kommt. Lessing hat dieses Aufeinandertreffen bewusst vermieden, da es praktisch unmöglich gewesen wäre, im Sinne der Toleranz und der Verständigung ein Gespräch zu führen. Außer Frage steht, dass der Patriarch ein religiöser Fanatiker ist ,der keine Religion duldet, außer natürlich der eigenen, dem Christentum. In seinem Dialog mit dem Tempelherrn wird schon deutlich, dass der Patriarch keine Spur von Toleranz und Verständnis für andere hat. Er denkt strikt antisemitisch und intolerant, was ihn natürlich nicht zur Erkenntnis kommen lässt, dass alle Menschen gleich sind, egal welcher Religion sie angehören. Er stellt sich taub gegenüber anderen Religionsvertretern und achtet diese nicht. Dabei ist er sich immer seiner Macht bewusst, die er als Patriarch innehat. Zugleich ist er aber auch verängstigt seine Stellung zu verlieren und somit seine Macht. Dies trägt auch dazu bei, dass er in seiner antisemitischen Haltung immer sturer wird. Ein Beispiel hierfür ist: „Der Jude wird verbrannt!“ wie im vierten Aufzug zu lesen ist.

Mit dieser Haltung steht er im krassen Gegensatz zu Nathan, einer verständnisvollen und toleranten Person. Nathans Argumentation wäre bei einem Gespräch mit dem Patriarchen untergegangen, denn der Patriarch wäre wohl keinen Zentimeter von seiner sturen Haltung abgewichen. Doch wäre es interessant gewesen, wie Lessing ein Gespräch zwischen Nathan und Patriarch gestaltet hätte. Denn solch ein Gespräch wäre auch einmal etwas anderes gewesen als Gegensatz zu den meist toleranten und verständnisvollen Gesprächen. Man kann ja davon ausgehen, dass sich der Patriarch nicht hätte umstimmen lassen, doch hätte es unter gewissen Umständen dazu kommen können, dass sich in ihm vielleicht doch eine gewisse Toleranz geregt hätte. Doch leider ist dies nicht feststellbar. Leider hat Lessing eines der interessantesten Gespräche außen vor gelassen. Für Lessing war es scheinbar einfacher ein Gespräch zwischen Nathan und dem Patriarchen nicht ins Drama miteinzubeziehen. Alles in allem wäre ein Dialog zwischen beiden wohl wenig erfolgreich verlaufen, da die religionsfanatische Haltung des Patriarchen durch kein Argument der Welt zu verändern gewesen wäre.