Gedichtvergleich: „Grodek“, Georg Trakl - „Mondnacht“, Joseph von Eichendorff

 

Das Gedicht „Grodek“ von Georg Trakl aus dem Jahr 1915 handelt von den Erfahrungen des Krieges, deren Schrecken, Faszination und Konsequenzen die Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks sprengen, wobei der Dichter dennoch versucht, das Unsagbare lyrisch auszudrücken.

In den ersten vier Versen des Gedichtes wird eine Abendlandschaft durch den Lärm von Waffen gestört (Z.1-4). Im nächsten Abschnitt werden auf dem Boden liegende, sterbende und tote, Soldaten dargestellt (Z. 5-9). Anschließend erscheint die Landschaft als Totenreich, das von den Geistern der Totensoldaten bevölkert ist (Z. 10- 15). Zum Schluss wird das Ausmaß der furchtbaren Folgen des Krieges deutlich, indem nicht nur die Gefallenen, sondern auch ihre nicht geborenen Nachkommen betrauert werden (Z. 15-17).

Das Gedicht ist nicht in Strophen unterteilt und besteht aus 17 Versen. Die fehlende Unterteilung in Strophen ist ein Beispiel dafür, wie im Expressionismus mit bekannten Strukturen gebrochen wurde, was sich auch im Fehlen eines Reimschemas zeigt.

Das Metrum ist sehr unregelmäßig und verdeutlicht so die Schwierigkeit der Verschriftlichung der furchtbaren Erfahrungen, die durch subjektive Sinneseindrücke vergegenwärtigt werden.

Hierbei werden Farben und Geräusche durch Metaphern beschrieben, wie zum Beispiel in den ersten beiden Versen „(...) tönen (...)“ (Z.1) oder „ (..) goldne(n) Ebenen (…)“ (Z. 2). Auffallend sind hier besonders die verwendeten Kontraste, die Naturerleben und Kriegserfahrung gegenüberstellen und so immer wieder den Schrecken des Krieges anschaulich machen, mal durch gegensätzliche Adjektive, zum Beispiel „(...) herbstlich() (...)“ (Z. 1) und „(...) tödlich() (...)“ (Z. 2) oder „(...) sterbend() (...)“ (Z. 5) und „(...) wild() (...)“ (Z.5), mal durch ein Oxymoron (vgl. Z. 3-4). Die Verstümmelung der Kriegsopfer wird an der Synekdoche „(...) zerbrochene(en) Münder (...)“ (Z. 6) aufgezeigt. Parallel zur fehlenden Ordnung während des Krieges, fehlt dem Gedicht eine grammatikalische Ordnung, was  durch eine Inversion (Z.7-9) und eine Ellipse (Z.9) deutlich gemacht wird. Da die Situation unbeschreiblich ist, muss der Dichter immer wieder zu Metaphern und Hyperbeln greifen, so auch im zehnten Vers, der durch eine Kombination aus Hyperbel und Metapher dem Leser einen Eindruck der Ausweglosigkeit vermittelt (Z.10). Gleichzeitig wird hier nochmals der Kontrast zwischen Natur und Krieg aufgegriffen, indem „(...) schwarze Verwesung (…)“ (Z. 10) im Gegensatz zu „(...) unter goldnem Gezweig der Nacht (...)“ (Z.11) steht. Gegen Ende des Gedichts wendet sich der Dichter den Konsequenzen des Krieges zu. Dabei werden die Angehörigen metaphorisch als „(...) der Schwester Schatten (…)“ (Z. 12) dargestellt, der zudem personifiziert wird. Durch das Adjektiv „schweigend“ (Z. 12). wird deutlich, dass der Waffenlärm (Z. 1-2) verstummt ist, der Kampf also vorbei ist. Der plötzliche Tod als gefallener Soldat wird durch den Kontrast „(...) die Geister der Helden, die blutenden Häupter (...)“ (Z. 13) betont und gleichzeitig als heldenhaft aufgewertet. Im vierzehnten Vers wird das Motiv des Herbstlichen aus dem ersten Vers wieder aufgegriffen und das Verb „tönen“ (Z.1) wiederholt, was dem Leser einen geschlossenen Eindruck vermittelt, bevor der Dichter sich durch eine Apostrophe vom Leser abwendet (Z.15). Der Ausruf verdeutlicht die aus der Hilflosigkeit entstandene Verzweiflung des lyrischen Ichs, das nichts mehr außer Schmerz fühlt, was durch eine Personifikation und einen Pleonasmus hervorgehoben wird (Z.16). Das Gedicht endet mit einer Ellipse, deren Unvollständigkeit für die der nachfolgenden Generationen steht (Z. 17).

Im gesamten Gedicht „Grodek“ wird immer wieder deutlich, dass die subjektive Wahrnehmung zu einer Verzerrung der Natur führt. Dies ist im Expressionismus keine Seltenheit, in anderen Epochen ist das Verhältnis zwischen Natur und lyrischem Ich jedoch ein völlig anderes, wie zum Beispiel in der Romantik. Besonders deutlich wird das in Joseph von Eichendorffs Gedicht „Mondnacht“ aus dem Jahr 1837, in dem sich das lyrische Ich in der Natur wiederfindet.

In beiden Gedichten wurde die Tageszeit als Einstieg gewählt, die Umsetzung ist aber jeweils eine völlig andere. Während Joseph von Eichendorff den Vergleich „(...) als hätt' der Himmel die Erde still geküsst“ („Mondnacht“: Z.1-2) anführt, sind Georg Trakls Worte „Am Abend (...)“ („Grodek“: Z.1) zu Beginn von „Grodek“ weitaus schlichter gewählt. Außerdem drückt  J. v. Eichendorffs Vergleich eine Verbindung, die zwischen Erde und Himmel, und  G. Trakl einen Kontrast, den zwischen Natur und Zerstörung, aus. Wesentlich ähnlicher sind die Darstellungen der Akustik, die sich in beiden Fällen auf Wälder beziehen. Im Gegensatz zu Joseph von Eichendorff, der sich tatsächlich nur auf die Eigengeräusches des Waldes beschränkt („Mondnacht“: Z. 7), vermischt Georg Trakl diese mit Waffenlärm („Grodek“: Z. 1-2). Auch die Schilderung der visuellen Eindrücke weist Differenzen auf. So vermittelt „Mondnacht“ das tatsächlich Gesehene, wie „die Felder, die Ähren“ („Mondnacht“: Z. 5-6) und „Grodek“ eher metaphorische Darstellungsweisen, wie „goldne(n) Ebenen“ („Grodek“: Z. 2). Verwendete Motive, die sich vom Bildlichen her ähneln, stehen häufig für völlig unterschiedliche Bedeutungen, zum Beispiel wird das Motiv der Nacht bei J.v. Eichendorff als etwas Positives gedeutet, dessen Weite Sehnsucht weckt und Freiheit gibt („Mondnacht“: Z. 8) und bei G. Trakl hingegen als etwas Unheimliches, Todbringendes („Grodek“: Z. 9, 11). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Joseph von Eichendorffs Gedicht „Mondnacht“ eine wahrhaftige Idylle dargestellt wird, die es dem lyrischen Ich ermöglicht zur Ruhe zu kommen und dass in Georg Trakls Gedicht „Grodek“ die scheinbare Idylle der Natur dem lyrischen Ich den Krieg nur als noch schrecklicher erscheinen lässt.

Diese unterschiedliche Wahrnehmungen lassen sich darauf zurückführen, dass der technische Fortschritt den Menschen und sein Umfeld so sehr beeinflusst, dass sein Eindruck der Natur sich stark wandelte, was dazu führte, dass sich auch die Darstellung der Natur im Laufe der Literaturgeschichte änderte.