Friedrich von Schiller: An die Freude

 

Freude, schšner Gštterfunken,

    Tochter aus Elysium,

Wir betreten feuertrunken

    Himmlische, dein Heiligtum.

Deine Zauber binden wieder,

    Was der Mode Schwert geteilt;

Bettler werden FŸrstenbrŸder,

    Wo dein sanfter FlŸgel weilt.

 

Chor

 

    Seid umschlungen, Millionen!

Diesen Ku§ der ganzen Welt!

BrŸder - Ÿberm Sternenzelt

    Mu§ ein lieber Vater wohnen.

 

Wem der gro§e Wurf gelungen,

    Eines Freundes Freund zu sein;

Wer ein holdes Weib errungen,

    Mische seinen Jubel ein!

Ja - wer auch nur eine Seele

    Sein nennt auf dem Erdenrund!

Und wers nie gekonnt, der stehle

    Weinend sich aus diesem Bund!

 

Chor

 

    Was den gro§en Ring bewohnet,

Huldige der Sympathie!

Zu den Sternen leitet sie,

    Wo der Unbekannte thronet.

 

 

Andreas Gryphius : An die Freunde

 

XLVI.

 

Gehabt euch alle wol O Erden gute Nacht!

Ihr Himmel, ich vergeh! umbsonst hat meine Wunden /

Mit so vil wehrtem Flei§ Callirhoe verbunden!

Man hat umbsonst an mich / so libe Schreiben bracht!

 

Uranie, umbsonst hab ich so vil gewacht!

Eugenie, ich bin ehÕ als ihr meynt verschwunden.

Die kalte Brust erstarrt / der Pul§ wird nicht mehr funden:

Die Augen brechen mir; der matte Geist verschmacht.

 

Sol ich mein Vaterland / sol ich dich nicht mehr schauen?

Sol ich mein todtes Pfand der frembden Grufft vertrauen?

Scheid ich Eugenie ohn eurn Abschid-Ku§?

 

Mein Licht! ihr werdet mir die Augen nicht zudrŸcken:

Und mit Cypressen mich und Lorber-Zweigen schmŸcken.

Der Myrten acht ich nicht: weil ich verwelcken mu§.

 

Andreas Gryphius

 

 

 

Gedichtvergleich: ãAn die FreudeÒ (Strophe 1-4) und ãAn die FreundeÒ

 

Die Ode ãAn die FreudeÒ, welche 1785 von Friedrich Schiller verfasst wurde, vergegenwŠrtigt das klassische Ideal einer Gesellschaft, in der die Menschen durch  gemeinsam empfundene Freude und Freundschaft miteinander verbunden und somit gleichberechtigt sind. Das Gedicht aus der Epoche des Sturm und Drang ist eines der bekanntesten und berŸhmtesten Werke Schillers, da es Ludwig van Beethoven um 1820 im Finalsatz seiner 9. Sinfonie vertont hat, welcher seit 1972 als Europahymne dient.

Die ersten vier Strophen des Gedichts sind in zwei Achtzeiler (Strophe 1 und 3) und zwei Vierzeiler (Strophe 2 und 4) aufgeteilt. Als Metrum dient durchgehend ein vierhebiger TrochŠus, die Kadenzen sind abwechselnd weiblich und mŠnnlich. In der ersten und der dritten Strophe werden jeweils zwei Kreuzreime verwendet, in der zweiten und vierten Strophe hingegen ein umarmender Reim.

ZunŠchst wird in Schillers Ode die Freude als etwas Heiliges, das Menschen zusammenfŸhrt und verbindet, veranschaulicht. Sie ist von einem lieben Vater, also von Gott, der am Himmel Ÿber die Menschen wacht, gegeben. Jeder, der sich glŸcklich schŠtzen kann zumindest einen Freund oder eine Frau zu haben, wird aufgefordert, in den Jubelgesang mit einzustimmen. Wer dies allerdings bisher nicht erreichen konnte, soll alleine trauern. Schlie§lich soll die Freundschaft und BrŸderlichkeit vor dem Herrn gepriesen werden.

In Schillers Werk ãAn die FreudeÒ wird deutlich, dass man die Freude als etwas von Gott Gegebenes, als ein Geschenk, betrachten muss, da der Neologismus (vgl. V. 1) sie als einen ãschšne[n] GštterfunkenÒ bezeichnet. Sie bringt also Schšnheit und Herrlichkeit mit sich, deren Ursprung auf Gott zurŸckzufŸhren ist. Des Weiteren stellt die Metapher ãTochter aus ElysiumÒ  (V. 2) die Freude als eine Art Heldin dar, die wie eine Selige in der Unterwelt Elysium von Gott und den Menschen geliebt wird. Dies weist ebenfalls auf eine Unsterblichkeit der Freude hin. Die Menschen empfangen das GefŸhl der Freude mit Leidenschaft und Begeisterung, sie sind wie verliebt, was der Neologismus ãfeuertrunkenÒ (V. 3) verdeutlicht. Die Freude wird sogar als etwas Heiliges, das vom Himmel kommt, aufgefasst (vgl. V. 4). Dies vergegenwŠrtigt erneut eindringlich die Besonderheit und Unabdingbarkeit dieses GefŸhls. Au§erdem veranschaulichen die Metapher und die Ellipse (vgl. V. 5-6), dass die Freude wie ein Zauber wirkt und es deshalb vermag, jegliche Differenzen, die durch die Zeit zwischen den Menschen entstanden sind wie zum Beispiel Meinungsunterschiede, aufzuheben und somit die Menschen zusammenzufŸhren und zu verbinden. †berall, wo die Leute glŸcklich sind und voller Freude, werden sie wie BrŸder, das hei§t sie werden Freunde, halten zusammen und vertrauen einander. Dies wird durch die Metapher (vgl. V. 7-8)  vergegenwŠrtigt. Doch die Hyperbel ãAlle Menschen werden BrŸderÒ (V. 7) zeigt zusŠtzlich die Euphorie des lyrischen Ichs, da es immer Leute gibt, die einander nicht mšgen und sich deshalb auch nicht von der Freude umstimmen lassen, was das lyrische Ich auszublenden versucht. Zu Beginn der zweiten Strophe richtet das lyrische Ich Aufforderungen an seine Mitmenschen. Es will, dass sie sich alle umarmen, um so ihre Freude auszudrŸcken und weiterzugeben, was durch die Verwendung des Imperativs beziehungsweise der Apostrophe (V. 9: ãSeid umschlungen, Millionen!Ò) klar wird. Anschlie§end veranschaulicht die Metapher (V. 10: ãDiesen Kuss der ganzen Welt!Ò), dass Freude schšn ist und das Herz eines jeden erwŠrmt wie ein Kuss, den man weitergeben muss, damit die ganze Welt teilhaben kann. Durch die Metapher (vgl. V. 11-12) wird deutlich, dass das lyrische Ich von dem Glauben an einen gutmŸtigen und barmherzigen Gott Ÿberzeugen will, da hier ãlieber VaterÒ (V. 12) als Symbol fŸr Gott verwendet wird. Erneut lŠsst sich also herausstellen, dass das GefŸhl der Freude einen gšttlichen Ursprung hat. Wer es in seinem Leben geschafft hat, zumindest einen Freund oder eine Frau zu finden, soll sich freuen und mit allen anderen mitjubeln. Dass dies stets das Ziel sein soll wird durch die Metapher ãWem der gro§e Wurf gelungenÒ (V.13) und die erneute Aufforderung (vgl. Z. 16: Imperativ) verdeutlicht. Der Aspekt, dass auch nur eine Freundschaft reicht um Freude zu empfinden, wird durch die Metapher ãwer auch nur eine Seele sein nennt...Ò (V. 17-18) betont. Im Kontrast dazu steht die Inversion und ein erneuter Imperativ (vgl. V. 19-20), was deutlich macht, dass diejenigen, die dieses Ziel bisher nicht erreichen konnten, alleine trauern sollen und nicht am Bund der sich Freuenden teilnehmen dŸrfen. Letztendlich werden alle Bewohner des ãgro§en Ring[s]Ò (V. 21), womit wahrscheinlich die Erde gemeint ist, dazu aufgefordert, die Freundschaft und BrŸderlichkeit zu schŠtzen und zu wŸrdigen (vgl. Ausrufesatz V. 2: ãHuldige der SympathieÒ). Diese Verbundenheit, also die Sympathie, soll bis in den Himmel zu Gott reichen (vgl. Metapher Vers. 24) und somit auch nach dem Tod noch bestehen. Dies wird durch die Synekdoche in Vers 23 vergegenwŠrtigt, da die Sterne fŸr das ganze Himmelsreich stehen, demnach auch fŸr Gott und ein Leben nach dem Tod. Das Gedicht vermittelt au§erdem ein GefŸhl der Gemeinschaft und des Zusammenhalts, da das Personalpronomen ãwirÒ (V. 3) verwendet wird und das lyrische Ich seine Mitmenschen mit dem Wort ãBrŸderÒ (V. 11) anspricht.

Schillers Ode ãAn die FreudeÒ stammt aus der Epoche des Sturm und Drang, was daran zu erkennen ist, dass in dem Gedicht die GefŸhle der Menschen im Mittelpunkt stehen. Wie im Sturm und Drang kommt es weniger auf den Verstand an, sondern auf die Beziehungen und den Zusammenhalt der Menschen untereinander. Weiterhin ist die Epoche durch appellierende Dichter, die bei den Leuten etwas erreichen wollen, geprŠgt. Dieser Aspekt findet sich auch in ãAn die FreudeÒ wieder, was durch die Verwendung vieler Imperative und Ausrufe deutlich wird. Die Empfindungen und das spontan gesprochene Wort kommen in den Werken der StŸrmer und DrŠnger zum Ausdruck, wofŸr in Schillers Gedicht mehrere Ellipsen und abgebrochenen SŠtze (z.B. V. 1-4, V. 10) als Beleg dienen.

 

Das barocke Sonett ãAn die FreundeÒ, welches Mitte des 17. Jahrhunderts von Andreas Gryphius verfasst wurde, handelt ebenfalls von Freundschaft, aber hier steht der Aspekt des Abschieds und der Trauer im Vordergrund. Es wird also eine vergŠngliche Freundschaft veranschaulicht.

In Gryphius' Sonett verabschiedet sich das lyrische Ich zunŠchst, indem es bisherige Taten seiner Freunde aber auch seinerseits als umsonst und zwecklos bezeichnet, da es glaubt zu sterben. Anschlie§end stellt sich das lyrische Ich Fragen, die beinhalten, ob es wirklich sterben solle und somit jeden Kontakt zu den Lebenden verlieren wŸrde. In der letzten Strophe geht es schlie§lich auf die Situation nach seinem Tod ein. Es will nicht, dass seine Leiche mit bestimmten Ritualen wie die SchmŸckung mit immergrŸnen Pflanzen versehen wird.

Die Darstellung der Freundschaft ist in den beiden Gedichten jedoch grundlegend unterschiedlich. WŠhrend in Schillers Werk gleich am Anfang eine feierliche und fršhliche AtmosphŠre geschaffen wird, indem die Freude selbst angesprochen und bewundert wird (vgl. Metaphern V. 1-2), findet sich in Gryphius' Sonett direkt eine Verabschiedung, die wohl an die Freunde des lyrischen Ichs gerichtet ist (vgl. Titel: ãAn die FreundeÒ). Der Ausruf ãO Erden gute Nacht!Ò (V. 1) verleiht dieser eher tristen AtmosphŠre des Abschieds mehr Dramatik. Au§erdem lŠsst sich in diesem Gedicht erkennen, dass alle Freundschaften und gute Taten des lyrischen Ichs und seiner Kameraden unnštig und umsonst waren (vgl. V. 2-3 Inversion, V. 5-6 Apostrophen), dass selbst die freundlichen Briefe ihre Bedeutung verlieren (vgl. V. 4), da das lyrische Ich glaubt, dass es sterben wird, was zum Beispiel anhand der Apostrophe ãIhr Himmel, ich vergeh!Ò deutlich wird. Es findet sich also in einer hoffnungslosen Situation wieder, die den historischen Hintergrund des Barocks betrachtend auf den Drei§igjŠhrigen Krieg zurŸckzufŸhren sein kšnnte. Das lyrische Ich durchlebt also wahrscheinlich die Schrecken des Krieges, wo ihm selbst die Freundschaft nicht mehr weiterhelfen kann. In Schillers ãAn die FreudeÒ wird hingegen deutlich, dass die Freude beziehungsweise die Freundschaft dazu fŠhig ist, Differenzen zwischen den Menschen auszugleichen (vgl. Metapher V. 5-6) und man somit durch Verbundenheit mit anderen Menschen schlimme Situationen wie Kriege bewŠltigen kann. Des Weiteren geht aus dieser Ode heraus, dass die Freundschaft auch nach dem Tod im Himmel noch bestehen kann, was durch die Synekdoche der ãSternenÒ und die Metapher (vgl. V. 23-24) klar wird. Nach Schiller gibt es also keine hoffnungslosen Situationen, solange man Freunde hat, denn die Freundschaft ist ein ewiger Bund. Andreas Gryphius vergegenwŠrtigt in seinem Sonett die Freundschaft allerdings als etwas VergŠngliches. Dies wird daran deutlich, dass das lyrische Ich spŠter keine immergrŸnen Pflanzen wie zum Beispiel Myrten, die ein Symbol fŸr die Ÿber den Tod hinausgehende Liebe sind, an seinem Grab will (vgl. V. 13-14). Durch diesen Aspekt und den Euphemismus ãweil ich verwelcken mu§Ò (V. 14) wird so veranschaulicht, dass das lyrische Ich glaubt, dass wenn es stirbt, auch alles um es herum vergeht, deshalb sollen auch keine blŸhenden Pflanzen seine Leiche schmŸcken. Das lyrische Ich glaubt demnach nicht an ein Leben, an Liebe oder Freundschaft nach dem Tod. Im Gro§en und Ganzen wird in Schillers ãAn die FreudeÒ eine freudige und warme AtmosphŠre vermittelt, was sich durch eine Vielzahl positiver Wšrter wie ãschšnÒ (V. 1), ãsanftÒ (V. 8), ãKussÒ (V. 10), ãJubelÒ (V. 16) oder ãSympathieÒ (V. 22) ausdrŸckt. ZusŠtzlich zeigt die Verwendung von Imperativen hier (vgl. V. 9, 16), dass das Gedicht zum mitjubeln und sich miteinander freuen anregen will. Im Gegensatz dazu werden in ãAn die FreundeÒ sehr viele negative und kalte Wšrter, die auf den Tod hindeuten, wie ãvergehenÒ (V. 2), ãWundenÒ (V. 2), ãverschwundenÒ (V. 6), ãkaltÒ (V. 7) oder Abschiedskuss (vgl. V. 11) benutzt, was eine eher dŸstere, kalte und traurige AtmosphŠre kreiert. Dieses Sonett regt auch nicht zur Freude, sonder viel mehr zur Trauer und Nachdenklichkeit Ÿber den Tod an. Verdeutlicht wird dies durch die Verwendung mehrerer Ausrufe und Apostrophen (vgl. V. 1-2, 5-6). Dem Glauben an Gott kommt ebenfalls in beiden Gedichten eine všllig andere Darstellung zu. So glaubt das lyrische Ich in Schillers Ode an nur einen barmherzigen Gott, den Vater im Himmel (vgl. V. 12, 24). In Gryphius' ãAn die FreundeÒ werden allerdings mehrere Gštter der griechischen Mythologie angesprochen, darunter zum Beispiel Callisto (V. 3) oder Uranie (V. 5), die das lyrische Ich scheinbar auch als seine Freunde bezeichnet. Es

bleibt hier also offen, ob das lyrische Ich an den christlichen Gott glaubt. Letztendlich grenzt sich das Gedicht ã An die FreundeÒ auch klar von Schillers ãAn die FreudeÒ ab, das es zu der Epoche des Barock gehšrt. Dies wird vor allem durch das in dem Gedicht stŠndig gegenwŠrtige Motiv der VergŠnglichkeit (vanitas) deutlich. Da auch der Dichter Andreas Gryphius in seinem Leben viele Bekannte und Freunde im Drei§igjŠhrigen Krieg verloren hatte, lŠsst sich annehmen, dass er in seinem Werk die Schrecken dieses Krieges verarbeitet.

Zusammenfassend kann man sagen, dass in Friedrich Schillers ãAn die FreudeÒ eine wahrhaftige Freundschaft, die einem immer hilft, ewig ist und somit Ÿber den Tod hinausreicht, dargestellt wird, in Andreas Gryphius ãAn die FreundeÒ hingegen eine Freundschaft, die vergŠnglich ist und deshalb all ihren Wert und ihre Bedeutung verliert, sobald man stirbt. Auch heutzutage ist die Freundschaft einer der wichtigsten Werte in unserem Leben. Auch wenn man in seinem Leben neue Freunde gewinnt und den Kontakt zu alten verliert, ist die Freundschaft allgemein nicht als vergŠnglich zu bezeichnen, da man immer in irgendeinem Bund der Freundschaft teilnimmt. Dass die Freude oder die Freundschaft von Gott gegeben ist, ist allerdings heute in den Hintergrund getreten, da viele Menschen, vor allem Jugendliche, immer weniger an Gott glauben.