Gedichtvergleich: Georg
Heym: Der Gott der Stadt / Friedrich Hšlderlin: Die Stadt (1.Strophe von ãBrot
und WeinÒ)
Das Gedicht ãDer Gott der StadtÒ (1911), geschrieben von dem expressionistischen Dichter Georg Heym, handelt vom Gro§stadtleben bei Nacht im Zeitalter der Industrialisierung, die von den Menschen zunŠchst als erfreulicher Fortschritt empfunden wird und den Verfall der Natur als Konsequenz hat. Heym studierte, vom Vater angetrieben, Jura, fŸhlte sich dabei jedoch unwohl und in seinen FŠhigkeiten beschrŠnkt. Das Gedicht schrieb er kurz vor seinem Tod, welchen er erlitt, als er seinen Freund vorm Ertrinken retten wollte. Der Dichter versucht, den Schrecken der Industrialisierung und die Zerstšrung der Natur lyrisch auszudrŸcken.
Das Gedicht macht dabei auch deutlich, wie sich die Vorstellung der Natur seit der Romantik verŠndert hat. In der expressionistischen Dichtung wird nicht auf traditionelle Formen zurŸckgegriffen, da das Individuum sich in der Moderne neuen, teilweise beŠngstigenden VerŠnderungen und Erfahrungen gegenŸber sieht. Der Vergleich zwischen ãder Gott der StadtÒ und ãdie StadtÒ kann diese VerŠnderung beispielhaft verdeutlichen. ãDie StadtÒ zeigt eine noch von Natur und sozialem Umgang geprŠgte Stadt, wŠhrend ãDer Gott der StadtÒ zeigt, dass eine solche Darstellung in der durch technischen Fortschritt und Urbanisierung/ Industrialisierung nicht mehr mšglich ist.
Am Anfang von Heyms Gedicht wird der sogenannte ãGott der StadtÒ beschrieben, der wie ein Kšnig auf einem HŠuserblock thront und die Stadt unter ihm mŸrrisch betrachtet. Das Treiben in der Stadt ist hektisch, laut und anonym, bis der ãHerrscherÒ der Stadt erzŸrnt und einen zerstšrerischen Feuerball durch eine Stra§e schickt.
ãDer Gott der StadtÒ ist ein fŸnfs-strophiges Gedicht mit 20 Versen, einem fŸnfhebigen
Jambus als Reimschema und weist durchgehend Kreuzreime auf. Es gibt
unregelmŠ§ig, jedoch Ÿberwiegend mŠnnliche Kadenzen. Die strenge Form des
Gedichts kontrastiert mit dem bewegten Inhalt, was ein typisch
expressionistisches Merkmal ist und
durch die innere Hektik und
Aufruhr der Menschen und der gleichmŠ§ig vorangehenden, Ÿberrollenden
Industrialisierung bedingt ist. Gelesen erhŠlt das Gedicht durch seinen
gleichmŠ§igen Rhythmus eine bedrohliche Schwere.
Unterteilen lŠsst es sich in zwei Sinnabschnitte: Vers 1-12
schildert eine passive Beobachtung des Baals, wŠhrend Vers 13-20 sich im
Zornesausbruch des ãGottesÒ steigert
und entlŠdt; er ist also aktiv geworden. In Vers 1-4 wird zunŠchst eine dŸstere Person
beschrieben, jedoch noch nicht benannt, sondern nur mit ãerÒ personifiziert
(V.1). AusgedrŸckt wird dies
durch dunkle Farben und emotional
negativ geprŠgte Begriffe (ãschwarze WindeÒ (V.2), ãWutÒ (V.3)); seine
aggressive, thronende Haltung zeigt
sich dadurch, dass er erhšht und
bequem sitzt, gleich einem Kšnig (ã Auf einem HŠuserblocke sitzt er breitÒ
(V.1)). Die Industrialisierung zu Lebzeiten Heyms wird
angedeutet: Die Menschen ziehen in die StŠdte wŠhrend das Land leer
zurŸckbleibt (V.4 ãdie letzten HŠuser in das Land verirrnÒ,
ãEinsamkeitÒ) In der
nŠchsten Strophe wird der gottesgleiche Eindruck verschŠrft; durch die
Personifikation der vor ihm niederknienden StŠdte (V.6),
vergleichbar mit Untertanen und Sklaven eines Herrschers, wird UnterwŸrfigkeit
und Angst aber auch Anbetung und Verehrung symbolisiert. Auch wird der Herrscher als ãBaalÒ bezeichnet
(V.5), was ein Name fŸr einen Teufel/Meister ist, welcher Opfergaben verlangt.
Durch den Sonnenuntergang (V.5.) mischt sich nun zum Schwarz die Farbe rot
hinzu (V.5); beides sind Farben der Hšlle
und des Teufels. Die Hyperbel ãder Kirchenglocken ungeheure ZahlÒ(V.7) klingt akustisch laut und bedrohlich und bildet
einen religišsen Gegensatz zur dargestellten
Zeremonie. Aufgegriffen wird der Kontrast erneut in Vers 12, wo industrieller
Fabrikqualm gleichgesetzt wird mit
Weihrauchduft. Dadurch, dass die Bewohner der Stadt laut jubeln und sich an den
Vorteilen der Industrialisierung erfreuen, dies aber negativ als dŠmonischer
Korybanten-Tanz (V.9) beschrieben wird, entsteht der
Eindruck einer Orgie. Ab Vers 13 Šndert sich die Beobachtungsperspektive; der
Baal rŸckt nun wieder in den Vordergrund und steigert sich klimatisch in seiner
Wut. AusgedrŸckt wird dies dadurch, dass es nun nicht mehr Abend, sondern tiefe
Nacht ist (V.14), die Winde von Vers 2 wandeln
sich in StŸrme (V.15) und werden
mit Geier verglichen, die bekanntlich Aas und FleischabfŠlle fressen(V.15) und
seine anfŠngliche Wut wandelt sich in Zorn (V.16).
In der 5. und damit letzten Strophe bricht der Zorn Gottes
aus. Mit der Alliteration ãFleischerfaustÒ (Z. 17) wird die HŠrte und
Unerbittlichkeit des Gottes ausgedrŸckt. Die Entschlossenheit des Gottes wird
durch kurze SŠtze betont(V.18 ãEr schŸttelt sieÒ)
Der Gott zerstšrt die Stadt innerhalb einer Nacht, bis der
Morgen graut. Diese ãBestrafungÒ kann als Zerstšrung durch Naturgewalt, also
durch Gott, ausgelegt werden. Der apokalyptisch anmutende Inhalt drŸckt die
Zerstšrung der Natur durch die Industrialisierung lyrisch aus.
Vergleicht man Heyms Gedicht mit ãDie StadtÒ (1807)von Hšlderlin, dass ebenfalls ein Stadtleben bei Abend beschreibt, fŠllt auf, dass das Gedicht viel mehr Naturelemente beinhaltet,enthŠlt beispielsweise ãBrunnenÒ (V.9), ãduftendem BeetÒ(V.10), ãdŠmmrige LuftÒ(V.11), ãder MondÒ(V.14), ãSterneÒ(V.16), ãGebirgshšhnÒ(V.18) und eine Harmonie und Ruhe ausstrahlt (V.8 ãDort ein Liebendes spieltÒ; V.5 ãWohlzufrieden zu HausÒ; V.7 ãSaitenspiel tšnt fern aus GŠrtenÒ). Insgesamt wirkt das Gedicht ruhiger und romantischer, wŠhrend bei Heym eine dŸstere, durch Fabrikqualm verpestete AtmosphŠre geschildert wird. Die Bewohner der Stadt sind bei Hšlderlin zarte, nachdenkliche Individuen(V.9), wŠhrend sie bei Heym eine laute, lŠrmende, anonyme Masse sind, die dem technischen Fortschritt verfallen sind. Die romantische Darstellung der Stadt ist noch sehr naturverbunden, wŠhrend die expressionistische Darstellung diese všllig ausschlie§t, beziehungsweise als Bedrohung wirken lŠsst im Sinne einer Naturkatastrophe, wenn die Stadt mit ihrem Materialismus zerstšrt wird. Betrachtet man den Entstehungszeitraum der Gedichte, fŠllt auf, dass ãDie StadtÒ als ein Gedicht der KlassikRomantik von sanften, harmonischen und ruhigen Naturmotiven geprŠgt ist, die eine verklŠrte Weltsicht und Abwendung vom GegenwŠrtigen hinweist, wohingegen ãDer Gott der StadtÒ zu Beginn der Industrialisierung verfasst wurde- eine Zeit des Wandels, der VerŠnderung, des Fortschritts durch Modernisierung und Technisierung. Diese drŸckt sich im Gedicht aus. Die Entwicklung der Technik und die Modernisierung fŸhren dazu, dass sich das VerhŠltnis der Menschen zur Natur grundlegend verŠndert. Natur wird durch die Technik in vielfŠltige Weise zerstšrt, beschŠdigt und umgestaltet, obwohl sie auch eine Erleichterung und einen Entwicklungsprozess darstellt. Es entsteht ein immer hŠrter werdender Kontrast zwischen der romantischen Naturauffassung und der expressionistischen. FŸr Heym ist die Natur nur noch eine Erinnerung an vergangene, altmodische antike Zeiten und dennoch etwas Uunberechenbares, das sich jederzeit wieder seinen Platz zurŸckfordern kann. Diese Entzweiung mit der Welt der Natur ist bei Hšlderlin noch nicht zu einer Entfremdung von der Natur geworden. Die Natur ist hier von der Welt der Menschen noch nicht berŸhrt, sie ist das Fremde, von den geschŠftigen BŸrgern der Stadt nicht Beachtete.war bei ãDie StadtÒ noch nicht der Fall, da die Dichter in der Romantik Mensch und Natur mit sich im Einklang sahen.