D LK 13:        Gedichtvergleich: Benn „Reisen“ & Joseph von Eichendorff „Frische Fahrt“

 

Das Gedicht „Reisen“ von Gottfried Benn wurde 1950 veröffentlicht. Benn selbst zog 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach Berlin, nachdem seine Frau sich das Leben genommen hatte und er in der Wehrmacht gedient hatte. In dem Gedicht verarbeitet Benn die Erwartungen an Großstädtethematisiert Benn, den Nutzen und die Bedeutung des Reisens.

Das Gedicht besteht aus vier Strophen, zu je vier Versen und weist einen Kreuzreim auf.

In der ersten Strophe zweifelt Benn den Nutzen einer Reise nach Zürich an und fragt den Leser, ob man dort wirklich die Wunder erlebte, die man auf einer Reise erwartete.

Daraufhin bringt er Habana als weiteres Beispiel, fragt den Leser, ob die Not, die das Reisen veranlasste, dort gestillt würdeird.

In der nächsten Strophe beantwortet er die Fragen selbst, indem er die Leere der Prachstraßen mehrere moderner GroßstadtstraßenGroßstädte vergegenwärtigt, als leer bezeichnet..

Als letztes zeigt Benn auf, dass das Fahren und Reisen keinen Nutzen Gewinn für den Reisenden bereithalteäl.t.

Die Besonderheit an den ersten beiden Strophen sind die direkten Fragen an den Leser, die mit der Wort „Sie“ deutlich gemacht werden. Der Leser wird somit mitten in das Thema des Gedichts miteingebunden, stellt sich somit die Fragen innerlich selbst (V.1+3). Des Weiteren ist zu bemerken, dass Benn Zürich als Beispiel nennt. Zürich ist keine allzu aufregende Stadt. Es könnte aber auch sein, dass er dieses Beispiel gewählt hat,, da er in seiner Laufbahn selbst die Möglichkeit hatte, nach Zürich zu gehener als Schriftsteller im Nazi-Deutschland auch Zürich als Ort des Exils hätte wählen können.  (V.1). Die Frage selbst bezieht sich auf den Sinn des Reisens. Benn fragt den Leser, ob sie nach ihrer Reisen tatsächlich die Wunder erlebt haben, die sie zuvor erwarteten (V.1-4).  Bereits in dieser Strophe fällt der gereizte Ton hinter der Fragestellung auf, es wird sofort deutlich, dass Benn diese Erlebnisse anzweifelt und eine eigene fest Meinung aufzuweisen hat.

In der darauffolgenden Strophe wird die Bedeutung der Reise mit Hilfe der Bibel und der Natur angezweifelt. Es wird keine Wundererfüllung als Reiseidee genutzt, sondern das „Manna“ der „Wüstennot“ (V.7+8). Die „Wüstennot“ erlebt Moses nach seinem Auszug aus Ägypten, er hungert und sein das Manna, seine Rettung, stellte das Himmelsbrot dar. Somit setzt Benn bei einer Reise nicht nur ein Wundererlebnis voraus, sondern sogar eine Not, die man sich durch die Reise erhofft zu stillen. Ebenfalls nennt er "weiß und hibiskusrot", dass sich auf Blüten zurückführen lässt. Somit sieht er als weitere Reiseidee das Erblicken der Natur an anderen Orten.

Aus den ersten beiden Strophen wird somit deutlich, dass Benn bestimmte Reisemotive voraussetzt, zum  Wunschträume (V.1-4), wie Wunder, die man hofft während der Reise zu erleben oder zum anderen eine Reise, als Flucht, um einer Not zu entkommen oder Rettung zu finden (V.5-8).

Nun kommt es jedoch zu einem Bruch, wenden sich die ersten Strophen, als Frage an den Leser, so beantwortet Benn diese in denim Folgenden selbst (V.9-12). Seine Meinung, die man vorher schon erahnen konnte, wird nun deutlich zu Wort gebracht.

Benn nennt zu Beginn erneut Beispiele, diesmal jedoch Straßen von Großstädten in verschiedenen Sprachen. Nun wird deutlich, dass er sich insbesondere auf Großstädte bezieht (V.9-11). Die gewählten Straßen wie „Bahnhofsstraßen und Ruen, Boulevards, …“ (V.9+10) rufen als Metapher ein Bild einer vollen, menschüberfüllten Straßen hervor. Er selbst bezeichnet diese jedoch als leer und zugleich als ein Erlebnis, dass der Leser persönlich erlebt, da er ihn immer noch mit „Sie“ anspricht. Benn sagt nicht, dass für ihn die Reise leer ausfalle, sondern dass für jeden eine Reise so endet, er es jedoch erst plötzlich vor Ort erfährt. Dies wird mit durch die Wortwahl „anfallen“ (V.12) deutlich, er setzt formuliert somit eine Warnung an den Leser, die aus seiner eigenen Meinung besteht, fest.

Im Vers 13 wird nun eine deutliche Antwort auf die Frage nach Bedeutung des Reisens gegeben. So beginnt die Strophe mit einem Ausruf, der alles beantwortet: "Ach, vergeblich das Fahren!" (V.13). Benn findet sie „vergeblich“, es wird somit deutlich, dass für ihn auf einer Reise weder die Wünsche erfüllt, noch die Not gestillt wirdwürden. In den weiteren Versen will er dem Leser etwas verdeutlich, eine eigene Erfahrung aufzeigen, um ihn den Leser vor einer langen eigenen Enttäuschung zu bewahren. Denn er ist davon überzeugt, dass andere Menschen ebenfalls diese Leere anfallen wird auf ihren Reisen. Seine Motivation dafür ist, das man letztendlich immer nur dasselbe eigene „Ich“  ist, egal nach welcher Reise. Die Lösung oder das Wunder, dass man sucht,  ist nicht durch Orte begrenzt, somit auch nicht durch Reisen erweiterbar. Das „Ich“ umgrenzt sich selbst, erweitert sich nicht durch Reisen an vielbelebte Orte, sondern kann Wunder und Lösungen bei sich selbst finden, kann somit auch nicht auf einer bestimmten Reise gefunden werden. Der einzige Nutzen im Fahren liegt darin, etwas zu erfahren (V.14+15). Man erfährt schmerzlich, dass man die Lösung bei sich selbst und nicht auf der Reise suchen muss. Benn will dies mit seinem Gedicht dem Leser klarmachen, damit er es nicht selbst erleben muss, wie in Vers 15 deutlich wird („Spät erst erfahren Sie sich“). Er gibt auf die Frage der Reise ein deutliches Nein, sagt, man solle in  ich Notsituationen einfach "bleiben“ und das Ich „stille bewahren" (V.16). Man soll in solchen Situationen somit nicht auf einer Reise vergeblich suchen, sondern innehalten, sich beruhigen und dann bei sich selbst nach der Lösung suchen und finden.

Berücksichtigt man nun den Hintergrund Benns wird schnell deutlich, warum die Antwort des lyrischen Ichs so drastisch ausfällt. In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg glaubten viele Menschen in den Großstädten ihre Chancen besser nutzen zu können, daher auch die Themenwahl Benns. So löste Benn 193583 seine Arztpraxis in Berlin auf um in die Wehrmacht einzutreten. Dies war für ihn ebenfalls eine solche Reise, er selbst bezeichnete es als "aristokratische Form der Emigration". Heimisch ist er jedoch dort jedoch nie geworden und kehrt schließlich auch wieder nach Berlin zurück. Seine Frau beging 1945 aus Angst vor Vergewaltigung durch russische Soldaten Selbstmord. Nach dem erlass r Aufhebung dseines Schreibverbots 1948 veröffentlichte er 1948 zunächst in der Schweiz einige seiner Werke, die Chance in die Schweiz zu emigrieren nutzte er jedoch nicht, er wollte nicht vor seiner Vergangenheit als Beteiligter der Nationalsozialisten fliehen und Berlin einfach verlassen. Daraus geht hervor, warum Benn das Emigrieren in Großstädte und somit auch das Reisen dorthin ablehnt. Er glaubt nicht an die große Chance, die die Menschheit damals in diesen Städten sah. Er selbst hatte seine eigene "Not" mit seiner Vergangenheit als Befürworter der Nationalsozialisten und dem Selbstmord seiner Frau. Doch er erkennt, das das Reisen in andere Städte seine Vergangenheit nicht verschwinden lässt, sondern sie bei ihm selbst, also seinem "Ich", liegt. Sie würde ihn überall hin verfolgen. Deshalb verleugnete er auch nicht seine Befürwortung sondern sprach öffentlich darüber. Dies überträgt er auf andere Menschen und deren Probleme in diesem Gedicht. Jeder Mensch trägt verschiedene Hintergründe und Erlebnisse mit sich, die jedoch durch eine Reise nicht vergehen oder eine Lösung finden, sondern bei dem "Ich" dauerhaft verankert bleiben.

Im Gegensatz zu Benns Auffassung des Reisens im Hinblick auf die Trümmerliteratur steht das Gedicht „Frische Fahrt“ von Joseph von Eichendorff. Eichendorff verfasst das Gedicht in Hinblick auf die Epoche der Romantik und verarbeitet hauptsächlich den Gedanken der Freiheit, der mit dem Reisen verbunden ist. Während Benn somit die Selbstfindung nach dem Tod seiner Frau und der Befürwortung der Nationalsozialisten die enttäuschende innere Emigration in der ie Wehmacht, die er als eine Reise ansieht, in seinem Gedicht verarbeitet, findet Eichendorff eine Freiheit in dem Reisen und sieht somit das genaue Gegenteil darin. Eichendorff (das lyrische Ich) wird förmlich dazu angelockt, sich auf Reisen zu begeben. So lockt ihn die „schöne Welt“ und ist davon überzeugt, noch an viele Orte fahren zu wollen (V.7). Er erwartet Orte, die ihn „selig blind“ machen, somit ihn tief berühren mit ihrer Schönheit und glücklich machen. Besonders zu Ende wird klar, dass es ihm nicht um bestimmte Reiseziele, wie bei Benn die Großstädte geht, sondern um  „Tausende Stimmen“, somit Orte, egal wo auf der Welt, die ihn anlocken mit ihrer Freiheit und Schönheit.  Besonders wichtig ist der letzte Vers, so möchte Eichendorff niemals enden zu reisen und immer mehr Neues entdecken in seinem Wunsch nach Freiheit („Ich mag nicht fragen, Wo die Fahrt zu Ende geht!“ V.15+16), während Benn mit dieser Bedeutung der Reise lediglich Endtäuschung verbindet. Dies findet man ebenfalls durch die Epoche der Trümmerliteratur wieder. So verarbeitet Benn ebenfalls den Gedanken der Heimatlosigkeit nach dem Krieg in seinem Gedicht, da ihnm überall nur Leere anfällt, egal auf welcher Reise (V.12).

 

Meiner Meinung nach wird in diesen beiden Gedichten deutlich, wie weit die Meinungen der Autoren im Hinblick auf das Reisen doch auseinander liegen. Eichendorffs Gedicht Reise verarbeitet den Gedanken der Freiheit, der ihn zu einem deutlichen Romantiker macht. So thematisiert er vor allem die Schönheit und das Verlockende einer Reise. Benn schreibt hingegen „in der Trümmerliteratur“,  um seine enttäuschenden Erfahrungen bei der Wehrmacht und den Tod seiner Frau versucht zu verarbeiten. Dadurch wird in Benn nicht nur der verlockende Aufbruch thematisiert, sondern auch das, dass was einen am Ende der Reise erwartet. Dies fällt aufgrund seiner eigenen Erfahrungen negativ aus. In diesen Gedichten wird aufgrund dessen auch deutlich, inwieweit Autoren sich selbst mit in ein Gedicht verewigen und eigene Träume wie Eichendorff oder eigene Entdtäuschungen wie Benn darin öffentlich zugänglich machen.