Lenz - Das Kunstgespräch

 

In dem Textausschnitt aus der In dem Novelle "Lenz" von Georg Büchner, geht es in dem Szenenausschnitt von Seite 16,  Zeile 15 bis Seite 19, Zeile 4 um das Kunstgespräch zwischen Lenz und Kaufmann. Hierbei wird noch einmal der geistig gesunde Lenz, als Kontrast zum späteren verwirrten Lenz gezeigt und die Weltansichten des gesunden Lenz werden herausgestellt. Die Gesellschaftskritik, wegen desm Umgangs mit geistig kranken Menschen, findet hier ihren Anfang, da man ab dieser Textstelle den Zerfall eines gebildeten Menschen verfolgen kann.

 

Kaufmann, ein Freund des Vaters von Lenz, kam zu Besuch. Lenz lebt zu dieser Zeit bereits bei dem Priester Oberlin und wird von seinem verwirrten Geist geplagt. Der Szenenausschnitt beginnt abends, als alle gemeinsam bei Tisch sitzen und ein Gespräch über Literatur und Kunst aufkommt, dabei geht es hauptsächlich um die neu beginnende Epoche desden Idealismus. Kaufmann und Lenz haben dazu sehr unterschiedliche Ansichten, was eine Diskussion nach sich zieht. Lenz erläutert hier ausführlich, dass der Idealismus nur die gottgegebene Wirklichkeit weiter verbessern wolle, was eigentlich nicht möglich sei, da Menschen nichts Besseres erschaffen können als Gott selbst. Dabei beschreibt er den Idealismus als "schmählichste Verachtung der menschlichen Natur" (Seite 17, Zeile 2). Als Beispiel für seine Meinung führt er nun eine persönliche Erfahrung an: Er habe wahre Schönheit gesehen, als er zwei Mädchen beobachtete, die sich die Haare zurecht machten. Seiner Meinung nach lässt sich wahre Schönheit nicht immer festhalten und auf einem Bild oder in einem Lied bannen. Kaufmann hingegen versucht den Idealismus zu verteidigen, indem er alte Meister nennt, welche bereits idealisierten. Lenz nimmt diese Entgegnung kaum wahr und beschreibt stattdessen Werke der niederländischen Malerei, wobei er sehr genau auf zwei Bilder eingeht und deren einfache Schönheit mit Inbrunst beschreibt. Den restlichen Abend über bleibt er in die Tischgespräche vertieft und zeigt keine Spur seiner sonstigen Verwirrung.

 

Wenn man diesen Szenenausschnitt im Hinblick auf das Gesamtwerk betrachtet, wird klar, dass dies der einzige Ausschnitt im Buch ist, wo man Lenz so wahrnehmen kann, wie er war. bevor seine Schizophrenie ausgebrochen ist. Gewöhnlich nimmt man Lenz als hilfsbedürftig wahr, weshalb er auch bei Oberlin unterkommt, aber in diesem Auszug erkennt man den brillianten Literaten in Lenz. Er erläutert ausgiebig, weshalb er den modernen Idealismus ablehnt (vgl. Seite 16, Zeile 23 ff). Er erörtert seine Meinung anhand des theologischen Aspekts, aber er führt als Beispiele für seine Argumentation Shakespeare und Goethe an, was deutlich macht, dass er sich nicht nur auf die Malerei festlegen will (vgl. Seite 16, Zeile 39 ff), sondern allgemein gebildet ist und auch den aufstrebenden Idealismus aus der Perspektive des Literaten betrachten kann. Hierbei wird auch klar, dass der noch gesunde Lenz sehr viel von seiner eigenen Arbeit hält und diese sogar über die Arbeit der bereits genannten großen Meister , Shakespeare und Goethe, stellt. Er hebt dabei stark hervor, wie er versucht hat, in seinen Werken alles möglichst realistisch und perfekt darzustellen (vgl. Seite 17, Zeile 2ff). Bereits vorher hat er schon erwähnt, dass dieser Realismus in Bildern und Schriften das Beste ist, was die Menschen anstreben können, denn sie können Gott nur möglichst gut nachahmen, was man an folgendem Textausschnitt festmachen kann: "Der liebe Gott hat die Welt wohl gemacht wie sie seyn soll, und wir können wohl nicht was Besseres klecksen, unser einziges Bestreben soll seyn, ihm ein wenig nachzuschaffen" (Seite 16, Zeile 23 bis 26). Er unterstreicht diesen Anspruch auf die Richtigkeit seiner Meinung nun noch mit einem Beispiel aus seinem Leben. Er beschreibt eine Szene, bei der zwei Mädchen auf einem Stein sitzen und gemeinsam einer der beiden die Haare aufbinden. Er stellt fest, dass dieser Eindruck nur einen Moment anhält und sich danach verändert, wodurch ein neues Bild für kurze Zeit entsteht. Damit umreißsst er seine Ansicht, wonach wahre Schönheit vergänglich seiist (vgl. Seite 17, Zeile 11 ff). Damit hat er ein langes und rhetorisch gut ausgearbeitetes Argument geschaffen, indem er zuerst die These aufgestellt hat, dass der Idealismus verachtenswert seiist. Diese These unterstreicht er dann mit seinem eigentlichen Argument, wonach man Gottes Werk nicht weiter verbessern könneann und schließsst dies dann mit einem gut ausformulierten Beispiel ab. Während dieser ganzen Rede kommt Kaufmann nicht zu Wort, was nochmals auf die Wortgewalt von Lenz hindeutet, mit der er erzählt. Das alles belegt eindeutig die Hypothese, dass Lenz sehr gebildet ist und weiterhin auch noch einem anderen gebildeten Menschen, in diesem Fall Kaufmann, rhetorisch überlegen ist. Alles ,was nach diesem Kunstgespräch also Lenz als verwirrt zeigt, muss sich mit diesem genialen Schriftsteller Lenz messen, wodurch erst die Gesamtaussage des Buches möglich wird. Ohne das Wissen darum, wer dieser Lenz vor seinem Krankheitsausbruch wirklich war, ist auch jede nähere Interpretation dazu nur auf Vermutungen gestützt und somit wertlos. Die Beschreibung der Person  Lenz und dessen Weltansichten gehen nach dem bisher genannten Verlauf allerdings noch weiter. Kaufmann bringt sich nun nämlich in das Gespräch ein, wenn auch nur kurz. Er bringt ein Autoritätsargument ein, laut dem man "in der Wirklichkeit doch keine Typen für einen Apoll von Belvedere oder eine Raphaelische Madonna" findet (Seite 18, Zeile 2 ff). Damit verweist er auf allgemein anerkannte Kunstwerke, welche bereits entstanden sind und die typischen stilistischen Eigenschaften des Idealismus aufweisen. Lenz jedoch tut dieses durchaus nachvollziehbare Argument einfach ab (vgl. Seite 18, Zeile 4 ff) und beginnt wieder damit, seine Ansichten der modernen Kunst zu präsentieren. Er bleibt hier weiterhin bei seiner bisherigen Hypothese: "Der Dichter und der Bildende ist mir der Liebste, der mir die Natur am Wirklichsten giebt" (Seite 18, Zeile 7 f). Nun beschreibt er zwei Bilder von holländischen Künstlern, weil diese den Idealismus ablehnten. Seine Beschreibung ist auch hier wieder eindrucksvoll genau und das Motiv der Bilder ist wieder religiös (vgl. Seite 18, Zeile 12 ff). Diese Art der Beschreibung wird nun von ihm fortgeführt, bis das Essen beendet ist. Im Laufe dieser Erläuterungen von Lenz wird seine persönliche Kunsttheorie deutlichklar gemacht. Wie zuvor schon deutlich gemachtdargelegt wurde, lehnt er den Idealismus ab. Weiterhin kann man noch seine Beweggründe für die Ansicht aus dem Text schließssen. "Der liebe Gott hat die Welt wohl gemacht wie sie seyn soll, und wir können wohl nicht was Besseres klecksen, unser einziges Bestreben soll seyn, ihm ein wenig nachzuschaffen" (Seite 16, Zeile 23 bis 26). Dieses bereits zuvor für eine andere Erläuterung verwendete Zitat beschreibt die Ideologie von Lenz sehr gut. Die gottgegebene Wirklichkeit verbessern zu wollen, ist völlig überflüssig. Seine ausführliche Beschreibung von den holländischen Kunstwerken sind sehr positiv  konnotiert (vgl. Seite 18, Zeile 14 ff), obwohl diese Bilder nach kurzer Betrachtung wenig aufmerksamkeitserregend wirken. Dies lässt sich damit erklären, dass die Menschen durch die ständigen idealisierten Darstellungen bereits nicht mehr die echte Wirklichkeit erkennen können oder wollen. Der Blick für die Realität geht verloren und dies kritisiert Lenz, wenn er davon spricht, dass "Dieser Idealismus [...] die schmählichste Verachtung der menschlichen Natur" ist (Seite 17 Zeile 1 f). Demnach ist es nicht nur verachtend, sondern sogar schädlich, wenn die Betrachter dadurch ihre Fähigkeit verlieren, die Welt so zu sehen und zu schätzen, wie sie von Gott gewollt war. Zudem ist es noch in weiterem Umfang eine Verachtung der Menschheit, denn der Mensch wurde als Ebenbild Gottes geschaffen und ebendies soll den Vertretern des Idealismus nicht mehr gut genug sein. Diese Gedankengänge von Lenz sind stimmig, wenn man sie mit seinen vorherigen Aussagen über Gott und seiner Vergangenheit als Theologiestudent vergleicht. Es sticht auch heraus, dass "das Kunstgespräch" als Betitelung dieses Textausschnitts unpassend ist. Ein Gespräch impliziert einen Gedankenaustausch von zwei oder mehr Personen, allerdings hierbei handelt es sich eher um einen Monolog. Der quantitative Gesprächsanteil von Kaufmann ist minimal und bezieht sich lediglich auf der Gesprächsbeginn und einen einzigen Satz im restlichen Textauszug (vgl. Seite 16, Zeile 15 ff). Dies ist sowohl darin begründet, dass Lenz Kaufmann scheinbar in einem solchen Gespräch geistig überlegen ist und diesen nicht zu Wort kommen lässt, als auch darin begründet das Lenz für das Gesamtwerk als Charakter wichtiger ist als Kaufmann. Das Buch wurde von Georg Büchner geschrieben, auch wenn er sich an die Vorgaben von Lenzder Aufzeichnungen Oberlins hielt,  musste er die Geschichte stimmig gestaltenmachen, was sich nun in diesem Monolog von Lenz widerspiegelt. Weiterhin wird die von Lenz aufgestellte Kunsttheorie nicht in einem Disput mit Gegenargument belegt, da dies nicht relevant für die eigentlichen Aussagen des Gesamtwerkes wäre. (Das Gespräch ist nicht aus den Quellentexten, die Büchner verwendet hat, übernommen.)

 

Abschließend lassen sich die Hauptaspekte des Kunstgespräches so zusammenfassen, dass die Kunsttheorie von Lenz den Idealismus ablehnt und stattdessen eine wirklichkeitsgetreue Darstellung der fordert,sichtbaren Materie bevorzu und daher auch als materialistisch bezeichnet werden kann. Für Büchner ist die sinnliche Erfahrung der Ausgangspunkt künstlerischen Schaffens.gt, was man als Beleg für die Bevorzugung des Materialismus auffassen kann. Schließlich wird auch die anfängliche Interpretationshypothese bestätigt, wonach eine Charakterisierung von Lenz im Gesamtwerk hier beginnen muss, um den noch geistig gesunden Lenz als Vergleichspunkt heranzuziehen. Demnach ist dieser Textausschnitt auch bedeutend für das Gesamtwerk, da man hier die einzige Gelegenheit geboten bekommt sich mit Lenz zu identifizieren, bevor dies wegen seiner späteren Paranoia und seinen schizophrenen Phasen/Schüben unmöglich wird.

Büchner geht es sicher nicht darum, dass sich die Leser mit Lenz einfach identifizieren, denn das ist nicht so ohne weiteres möglich, eher sollen sie Verständnis für seinen Zustand entwickeln. Auch das entspricht Büchners Kunsttheorie. Sein Anliegen ist es aber vor allem zu zeigen, dass die Vorstellungen der Menschen von Kunst konkrete Auswirkungen auf ihr Leben haben. Sie beeinflussen das Bild, das man sich von anderen Menschen macht und die Weise, wie man diese behandelt und beurteilt.