Das Fragile-X-Syndrom

 

 

 

 

 

 

                       

                  Besondere Lernleistung

 

 

 

 

                  Von Liane Geisel

 

                               Landstuhl, Dezember 2002

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                   

 

 

                                     

 

                                            Für Cedric

 

                                      und seine Familie

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

              

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

 

 

1.              Einleitung

 

2.              Geschichtlicher Hintergrund

 

3.              Prävalenz

 

4.              Symptome

 

5.              Ursache und Erbgang

 

6.              Diagnose

 

7.              Therapiemöglichkeiten

 

8.              Schlusswort

 

9.              Glossar

 

10.        Literaturliste

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Einleitung

 

 

 

Das Fragile-X-Syndrom gilt als zweithäufigste Ursache  einer genetisch bedingten geistigen Behinderung, dennoch weiß kaum jemand über dieses Syndrom Bescheid.

Ob Mediziner, ob Laien, kaum einer meiner Befragten kannte das Fragile-X-Syndrom.

Das Down Syndrom  jedoch ist bei jedem bekannt.

Wäre mein Großcousin Cedric (7) kein fra(x)-Patient, wäre mir eine Existenz dieser Art von geistiger Retardierung völlig unbekannt.

Was nun letzten Endes der Grund für den geringen Bekanntheitsgrad ist, lässt sich von mir nur vermuten.

Zum einen weiß man noch nicht sehr lange über dieses Syndrom Bescheid, bzw. ist erst seit 1992 in Lage, das Fragile-X-Syndrom molekulargenetisch zu diagnostizieren, was bedeutet, dass die Forschungen noch ganz am Anfang stehen.

Zum anderen spielen die Medien eine entscheidende Rolle.

Gäbe es nicht unzählige „Spenden-Marathons“ für Menschen mit Down Syndrom oder würde es keine Down Syndrom-Schauspieler geben, wäre dieses Syndrom ebenso unbekannt wie das Fragile-X-Syndrom.    

 Da viele so ahnungslos sind wie ich zu Beginn meiner Recherchen, hoffe ich, mit meiner Besonderen Lernleistung über dieses Thema informieren  und somit auch dem geringen Bekanntheitsgrad des Fragilen-X-Syndroms entgegen wirken zu können (wenn lediglich nur fünf Personen diese Arbeit lesen werden und danach, so hoffe ich doch, über das Fragile-X-Syndrom Bescheid wissen, hat sich der Aufwand schon gelohnt. Denn lediglich durch einen höheren Bekanntheitsgrad, werden immer mehr Gelder investiert und die Forschungen schneller vorangetrieben, und somit auch immer mehr spezifische Therapiemöglichkeiten entwickelt.).

 

 

 

 

2. Geschichtlicher Überblick

 

 

Das Fragile-X-Syndrom wurde erstmals 1943 anhand eines Stammbaumes durch Julia Bell und James Purdon Martin entdeckt und beschrieben. Aus diesem Grund spricht man heute  noch von dem Martin-Bell-Syndrom.

Bei  genaueren Untersuchungen zweier geistig behinderten Brüder fiel Lubs 1969 am langen Arm des X-Chromosoms eine brüchige Stelle (engl. Fragile site) auf. Infolge dessen bezeichnet man das Syndrom auch als Marker-X-Syndrom. 

Dies war jedoch die einzige Entdeckung, bis 1977 Sutherland herausfand, dass in Zellkulturen aus weißen Blutkörperchen von Betroffenen bei einem Folsäure-Mangel eine Veränderung am X-Chromosom erzeugt werden kann. Obwohl so eine zytogenetische Familienuntersuchung sehr aufwendig und unsicher war, bedeutete dies einen enormen Fortschritt in der Diagnostik des Fragilen-X-Syndroms.

Zum einen konnte man Familien mit geistig behinderten Kindern auf eine Veränderung des X-Chromosoms untersuchen, zum anderen war man in der Lage, das fra(X)-Syndrom von anderen geistigen Behinderungen zu differenzieren und  festzustellen, dass dieses Syndrom weit verbreitet ist.

Erst im Jahr 1992 stießen drei unabhängig voneinander arbeitende Forschungsgruppen auf das verantwortliche Fragile-X-Gen ( FMR1-Gen, Fragile X Mental Retardation Gene 1), wodurch es nun endlich möglich war, eine molekulargenetische Diagnose durchzuführen.

 

 

 

 

 

 

3. Prävalenz

 

 


Vor 1992 konnte man das Fragile-X-Syndrom anhand  klinischer Merkmale und mit Hilfe einer zytogenetischen Untersuchung  diagnostizieren. Da man jedoch eine Prämutation, die klinisch unauffällig ist, nicht nachweisen konnte, war es unmöglich eine genaue Zahl zur Verbreitung des fra(X)-Syndroms anzugeben.

Ebenso der Versuch, sich an geistig behinderten Kindern zu orientieren, ergab sich als Problem, da viele Kinder mit dem Fragilen-X-Syndrom lediglich eine Lernbehinderung haben und somit unauffällig sind.

Ab 1992 konnte mit Hilfe der molekulargenetischen Analyse der Chromosomenanomalie die tatsächliche Häufigkeit des Martin-Bell-Syndroms festgestellt werden. Nach neusten Untersuchungen liegt die Zahl bei 1:1250  unter Männern; bei Frauen 1: 4000.

 

Hiermit ist das Fragile-X-Syndrom die häufigste erbliche und die zweithäufigste genetisch bedingte Ursache einer geistigen Behinderung nach dem Down Syndrom.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4. Symptome

 

 

Eines der Hauptmerkmale bei Menschen mit dem Fragilen-X-Syndrom ist die Minderbegabung. Das Spektrum reicht von Lernschwächen, bis hin zu schweren geistigen Behinderungen.

Forschungsgruppen führten bei betroffenen Kindern und Erwachsenen Intelligenztests durch.

In der Altersgruppe von drei bis sieben liegt der IQ bei 50, bei den Sieben- bis Fünfzehnjährigen bei 45,71 und bei den Probanden von 15-21 bei 29,5. Der Durchschnitts-IQ nimmt mit zunehmendem Alter also ab, eine Entwicklung, die man auch beim Down-Syndrom feststellen kann.

Vor allem Aufgaben, die Konzentration, abstraktes und mathematisches Denken erfordern, erweisen sich als äußerst schwierig.

Mit Aufgaben, die sich auf  Wortschatz und sprachgebundenes Wissen spezialisieren, haben die Betroffenen kaum „Ärger“. 

1987 und 1988 entdeckten Forscher, dass weitere Hauptprobleme der Kinder und Jugendlichen bei den sequentiellen Verarbeitungsprozessen (z.B. Nachahmen von einfachen Handbewegungen) und den flexiblen Problemlösungen liegen.

Aufgrund der Stärken könnten fra(x)-Betroffene gut in einer Restaurantküche, als Gärtner oder als Portier arbeiten.

 

Ein weiteres Leitsymptom ist die Verzögerung der Sprachentwicklung. Auch hierbei gibt es erkennbare Unterschiede. Manche Kinder beginnen mit zwei oder drei Jahren zu sprechen und bilden mit vier Jahren Dreiwortsätze, andere erst mit sechs Jahren oder sogar noch später.                          

                        Dieses Symptom ist meistens der erste Anhaltspunkt zur Diagnose des Fragilen-X-Syndroms.

Auffällig beim Sprechen ist das unregelmäßige Sprechtempo und eine oft undeutliche Aussprache. Manche Silben werden miteinander verbunden oder weggelassen. Sätze sind häufig unvollständig und werden wiederholt.

Weiterhin problematisch ist die Verkettung bestimmter Silben und die Perseveration. Hierbei wiederholen die Betroffenen eigene Äußerungen immer wieder und es fällt ihnen schwer, sich auf ein neues Thema umzustellen.

Anhand dieser Eigenschaft kann man das Fragile-X-Syndrom deutlich von anderen geistigen Behinderungen unterscheiden, da  die Perseveration wesentlich seltener vorkommt als die

 

 

Echolalie (Wiederholung einzelner Aussagen des Gesprächpartners; oft bei Autismus festzustellen; Definition, Roche Lexikon Medizin: zwanghaftes Nachsprechen von Wörtern und Sätzen). 

Im Vergleich zu anderen Kindern mit geistiger Behinderung (z.B. Down-Syndrom, Autismus) suchen die Kinder mit dem fra(X)-Syndrom das Gespräch  und versuchen den Dialog aufrecht zu erhalten (womöglich eine Erklärung für das Auftreten der Perseveration).

Allerdings vermeiden sie  den  Blickkontakt, ein charakteristisches Merkmal.

Im  Vergleich zu autistischen Kindern, die erst gar nicht auf Blickkontakte reagieren,

ist das für Kinder mit fra(X)-Syndrom merklich unangenehm.

Wenn sie den Blick des anderen wahrnehmen, schauen sie daraufhin sofort weg . Erst nachdem sie das Gefühl haben, nicht mehr betrachtet zu werden, wenden sie den Blick wieder zum Gesprächspartner.   

            Ebenso oft zu beobachten sind Selbstgespräche und Jargon („Kauderwelsch“).

 

Man geht davon aus, dass Sprachstörungen spezifische Symptome des fra(X)-Syndroms sind und nicht mit der Schwere der Behinderung in Verbindung stehen. Bei Vergleichsgruppen mit gleichem Durchschnitts-IQ stellte man wesentlich seltener solche Schwächen fest.

 

 

 

Weitere spezifische Verhaltensmerkmale sind  Zornausbrüche, taktile Abwehr        

(Widerstand gegen Berührungen), Scheu, Stimmungsschwankungen, Hyperaktivität, Aufmerksamskeitsdefizite und Automutilationen (Selbstverstümmlung; meistens Kratzen und Handbeißen).

Eigenschafen wie taktile Abwehr, Geräuschüberempfindlichkeit und Stereotypien (wiederkehrende gleichförmige Aufeinanderfolge motorischer und sprachlicher Leistungen) zeigen starke Ähnlichkeit zu autistischem Verhalten. 

Schwerwiegende autistische Störungen wie Nichtsprechen, Indifferenz zum Blickkontakt oder fehlende Mimik treten jedoch nur ganz selten auf.

 

Bei 80% der Kinder unter sieben Jahren und bei 54% der Schulkinder stellt man hyperkinetische Verhaltensstörungen  fest. Dies äußert sich in Störungen der Aufmerksamkeit, Aktivität und Unruhe.

Bei Kindern jedoch lässt dies in der Pubertät meistens nach und kann bei Erwachsenen sogar zu Hypoaktivität (Antriebsschwäche) führen.

Weitere häufige Symptome sind Stimmungsschwankungen, Impulsivität

 (keine Kontrolle über eigene Aktivität) und emotionale Auffälligkeit (leichte Erregbarkeit bei nichtigen Anlässen; Zornausbrüche, Stimmungsschwankungen; Intoleranz anderen gegenüber).    

 

Obwohl die Hyperkinese kein typisches Merkmal bei Kindern mit Fragilem-X-Syndrom ist, wird doch deutlich, dass viele Verhaltensmechanismen, die oben genannt wurden, bei Betroffenen auftreten. 

 

 

Weitere Symptome des Fragilen-X-Syndroms sind Entwicklungsstörungen in der Fein- (man ist nicht in der Lage, gezielte minimale Bewegungen durch zu führen.) und Grobmotorik (mangelnde Entwicklung von Reflexen) und die Verarbeitung von Informationen der Sinnesorgane. Hier liegt eine Störung der sensorischen Integration (Prozess des Ordnens und Verarbeitens sinnlicher Eindrücke) vor, d.h. die Kinder mit Fragilem-X-Syndrom können zwar sehen, riechen, hören und tasten, sind jedoch nicht in der Lage, die Reize richtig zu verarbeiten.

Andere Störungen in der Motorik und Wahrnehmung sind zum Beispiel die taktile Abwehr (Berührungen werden als Bedrohungen erlebt und rufen bei dem Betroffenen eine Abwehrreaktion hervor.), Störungen der visuellen Wahrnehmung (besonders bei der Raumwahrnehmung),  gestörte kinäshetische Wahrnehmung (Schwierigkeiten bei der Einteilung des Kraftaufwands), gestörte vestibuläre Wahrnehmung (Über- und Unterfunktion des Gleichgewichts) oder Störungen der auditiven Wahrnehmung (Erkennen und Differenzieren von Lauten).

Betroffene bezeichnet man als sensorisch überempfindlich gegen akustische, orale, taktile, optische und olfaktorische Reize.

 

 

 

 

Typische körperlichen Merkmale sind ein langes schmales Gesicht mit einer hervorspringenden Stirn und einem hervortretendem Kinn, große und abstehende Ohren und 80%der Männer haben vergrößerte Hoden.

Die Fertilität der Betroffenen ist eingeschränkt, da eine Störung der Spermienentwicklung vorliegt.

 

Bei männlichen Neugeborenen mit Fragilem-X-Syndrom ist zunächst das Geburtsgewicht, das im oberen Bereich liegt, auffällig. Der Kopfumfang ist um einiges größer und neben der bereits oben genannten gewölbten Stirn, dem prominenten Kinn und den großen Ohren, ist eine muskuläre Hypotonie charakteristisch, was man an dem geöffneten Mund erkennen kann. Menschen mit fra(X)-Syndrom neigen zu Platt- oder Senkfüßen und leiden unter Bindegewebsschwäche.

 Die Haut ist empfindlich und somit anfällig für Allergien.

In der Pubertät wird das Gesicht länger, das Kinn und die Stirn augenfälliger.

Der Kopfumfang entspricht nun der Norm.

Bei 30%der Jungen lässt sich eine Sehstörung feststellen.

 

Bei Mädchen und Frauen kann die Minderbegabung ebenso stark ausgeprägt sein wie bei Jungen, jedoch äußert sie sich hauptsächlich in einer Lernbehinderung.

Die Gesichtsanomalien (Kinn, Stirn, Ohren) sind zwar erkennbar, aber noch lange nicht so ausgeprägt wie bei den männlichen Betroffenen.

Weiterhin haben Anlageträgerinnen eine reduzierte Östrogenproduktion in den Eierstöcken, was ergib, dass diese Frauen oft nicht schwanger werden können.

Anlageträgerinnen erleben die Menopause (Wechseljahre) durchschnittlich im Alter von 42 Jahren.

 

 

 

 

 

 

5. Ursache und Erbgang

 

 

Die genetischen Informationen bei einem Menschen liegen verschlüsselt in der DNS (Desoxyribonukleinsäure; oder DNA), welche sich aus einem Zuckerrest, einem Phosphatrest und den vier Basen Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) und Thymin (T) zusammensetzt. Die Reihenfolge der Basen legt die Erbinformation fest. Zwei oder mehr Basentripletts codieren die Aminosäuren, die die Eiweißproduktion regeln. Solche Basentripletts nennt man Gen.

                   Die Ursache des Fragilen-X-Syndroms ist eine Mutation im FMR1-Gen auf dem langen Arm des X-Chromosoms  an der Stelle X q27.3.

Eine Verlängerung des DNA-Abschnittes durch mehrere Wiederholungen  der drei DNA-Bausteinen Cytosin, Guanin und nochmals Guanin (CGG-Trinukleotid) beeinträchtigt das Gen in seiner Funktion. Diese Mutation führt zur verminderten Produktion des FMR1-Proteins, was einen gestörten Aufbau von Synapsen und Dendriten der Nervenzellen in bestimmten Gehirnbereichen zur Folge hat. Hieraus entsteht dann eine geistige Retardierung.

            Das Fragile-X-Syndrom entsteht dann, wenn eben dieses Protein in allen oder in einem hohen Anteil der Körperzellen fehlt.

 

Es gibt zwei Arten von Mutationen: die Prämutation und die Vollmutation.

Bei einem gesunden Menschen liegt die Trinukleotid-Anzahl zwischen 6 und 52, am häufigsten sind Wiederholungen bei 30. Bei gesunden Genträgern liegen 60 bis 200 Kopien vor (Prämutation), bei Patienten lassen sich bis zu 2000 CGG-Repeats feststellen (Vollmutation).

Prämutationen haben noch keine Auswirkung auf die intellektuelle Entwicklung, können  aber zu einer Vollmutation expandieren. Aus diesem Grund spricht man von einer „dynamischen Mutation“.    

Es gibt noch weitere Krankheiten, die durch eine Verlängerung von Repeat-Frequenzen charakterisiert sind. Alle weisen Störungen des zentralen Nervensystems auf, wie zum Beispiel die Chorea Huntington und die Friedreichsche Ataxie.

 

Bei dem Fragilen-X-Syndrom handelt es sich allerdings nicht um einen klassisch

 X- chromosomal - rezessiven Erbgang (wie zum Beispiel bei der Bluterkrankheit;  Überträgerinnen weisen  meistens keine Symptome auf, ihre Söhne erben entweder die Mutation und sind somit erkrankt oder erben das nicht betroffene Chromosom und sind somit

gesund; dass der gesunde Sohn die Genveränderung an seine Kinder weitergeben könnte, ist nicht möglich).

Bei dem Fragilen-X-Syndrom kann man einen anderen Erbgang beobachten.

(1)    Eine  Vollmutation bei einem Mann stammt immer von der Mutter.

 

(2)    Nicht alle männlichen Mutationsträger sind betroffen. Vererben sie die Mutation an ihre Töchter weiter, sind diese ebenfalls nicht betroffen. Den Enkeln hingegen bleibt ein Risiko von 50%. Da eben auch klinisch unauffällige Anlageträger die Mutation weitergeben können, kann der Gendefekt über mehrere Jahre unerkannt bleiben.  

  

 (3) Wenn Überträgerinnen Symptome zeigen, so haben sie die Mutation immer von ihrer                 

       Mutter geerbt.

                               

 (4) Das Erkrankungsrisiko steigt von einer Generation zur nächsten, wenn die Mutation von                    der Mutter weitervererbt wird; das Erkrankungsalter wird immer früher und die Schwere der Erscheinungen nimmt ständig zu (Antizipation).

 

Frauen sind deutlich weniger betroffen als Männer, denn weibliche Körperzellen haben im Gegensatz zu den männlichen (XY) ein  homologes Chromosomenpaar (XX). Somit kann das jeweils nicht mutierte X-Chromosom den Defekt des anderen ausgleichen.

(Homologe Chromosomen: paarweise auftretende Chromosomen, die eine einander entsprechende Gestalt aufweisen. Je eines der beiden homologen Chromosomen stammt ursprünglich vom Vater bzw. von der Mutter)                     

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

6. Diagnose

 

Verschiedene Möglichkeiten zur Identifikation vom Fragilen-X-Syndrom

 

(1)

Da es immer noch eine große Anzahl Menschen mit Fragilem-X-Syndrom gibt, die gar nicht wissen, dass sie betroffen sind, sondern nur annehmen, sie seien „etwas langsamer“ als andere oder nun mal nicht besonders gut in der Schule, haben Forscher eine Checkliste entwickelt.

Diese soll zum einen dazu dienen, dass Lehrer und Therapeuten über das Syndrom informiert werden und somit das Fragile-X-Syndrom einen höheren Bekanntheitsgrad erreicht.

 Zum anderen soll sie  behilflich sein, einen Betroffenen zu erkennen und eine Verdachtsdiagnose aufzustellen, so dass unter den Kindern mit geistiger Behinderung unbekannter Genese, diejenigen mit fra(X)-Syndrom entdeckt werden können.

So ist man in der Lage das Kind mit Fragilem-(X)-Syndrom spezifisch zu fördern und

die Eltern  über die Vererbbarkeit der Krankheit aufzuklären, so dass die Eltern dementsprechend  reagieren und planen können.

 

Die Checkliste besteht aus 15 Verhaltensmerkmalen und Symptomen.

Jede Eigenschaft, ob vorhanden oder nicht, wird mit Punkten bewertet :

              0 Punkte bei Nichtvorhandensein

              1 Punkt, wenn eine Eigenschaft früher festzustellen war oder ansatzweise zu

                 zu erkennen ist

              2 Punkte, wenn das Symptom deutlich zu erkennen ist

 

Ursprünglich diente diese Liste einer Untersuchung über das Auftreten bestimmter Verhaltensweisen bei Menschen mit fra(X)-Syndrom.

 

 

Letzten Endes ist diese Checkliste gut für einen Verdacht, jedoch liefert nur eine molekulargenetische Untersuchung ein eindeutiges und sicheres Ergebnis.

 

Fragiles-X-Checkliste

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nicht vorhanden

 

 

 

Nur geringfügig oder früher vorhanden

 

 

 

 

Vorhanden

Geistige Behinderung

 

 

 

Hohe Prävalenz von geistiger Behinderung in der Familie

 

 

 

Hyperaktivität

 

 

 

Aufmerksamkeitsdefizite

 

 

 

Taktile Abwehr

 

 

 

Handwedeln

 

 

 

Handbeißen

 

 

 

Vermeiden von Blickkontakt

 

 

 

Perseverationen in der Sprache

 

 

 

Große und / oder abstehende Ohren 

 

 

 

Macroorchidie              

 

 

 

Vierfingerfurche

 

 

 

Überstreckbarkeit der Gelenke

 

 

 

Fußsohlenfalte

 

 

 

Blassblaue Augen

 

 

 

 

 

 

 

 

(2)

Es gibt zwei unterschiedliche Durchführungen der genetischen Diagnose:

Zum einen die zytogenetische Diagnostik und zum anderen die molekulargenetische Diagnostik.

 

a)

Bei der zytogenetischen Diagnostik kann die fragile Stelle (im Bereich Xq27.3) sichtbar gemacht werden. Dies funktioniert mit einem folsäurefreien Kulturmedium, das für die Anzüchtung der Zellen zur Chromosomenanalyse verwendet wird.

 Da schon geringe Veränderungen in der Zusammensetzung des Kulturmediums die Diagnose verändern, liefert diese Methode kein genaues Ergebnis und ist dazu noch viel zu aufwendig.

Ebenso ungeeignet ist die zytogenetische Diagnostik für das Erkennen von unauffälligen Anlageträgern und –trägerinnen, da auch hier keine gesicherten Ergebnisse vorliegen.

 

b)  

Die molekulargenetische Diagnostik hingegen ist wesentlich kostengünstiger, zeitsparender und im Ergebnis sicherer.

Hier einige der wichtigsten Methoden der molekulargenetischen Untersuchung:

Zum einen die „Southern Blot“ Analyse, bei der das FMR-1 Gen gezielt abgeschnitten wird und somit die syndromtypische CGG-Triplett-Verlängerung  schon im Stadium der Prämutation erkannt werden kann. Auch ein direkter Nachweis der Vollmutation ist möglich.

Auf noch schnellerem Weg liefert die Polymerase-Kettenreaktion Analyse (PCR) ähnliche Ergebnisse (jedoch nicht ganz so ausführlich wie bei der „Southern Blot“ Analyse). Für die Identifikation der Vollmutation ist dieser Weg allerdings nicht besonders geeignet, da längere CGG-Triplett-Repeats, wie sie bei der Vollmutation auftreten, nicht mehr eindeutig feststellbar sind.

Die Kopplungsanalyse stellt den Trägerstatus anderer Familienmitglieder fest und dient hauptsächlich der Diagnosesicherung.

 Die molekulargenetische Untersuchung ist die einzige Möglichkeit einer gesicherten Diagnose für das Fragile-X-Syndrom; sie liefert Ergebnisse zur Ausprägung der Mutation, die vor der Identifikation des FMR-1 Gens nicht möglich waren.                                                                                                                                                                               

 

 

 

 

7. Therapiemöglichkeiten

 

Gentherapie

 

 

Gentherapie ist die Behandlung von Krankheiten durch das Einführen von Genen in den Körper des Patienten. Hierbei wird versucht, das Programm einer Zelle in eine bestimmte Richtung zu lenken. 

Man unterscheidet zwischen einer somatische Gentherapie (die Geschlechtszellen bleiben unverändert , lediglich einzelne Zellen werden behandelt) und einer Keimbahntherapie (auch die Geschlechtszellen werden verändert).

Nicht nur vererbte, sondern auch erworbene Krankheiten (Bsp. Krebs oder Aids) fallen in den Anwendungsbereich.

 

 Beim Fragilen-X-Syndrom soll mit Hilfe der Gentherapie ein FMR1-Gen in die Körperzellen (z.B. in Gehirnzellen) geschleust werden, so dass ein größerer Anteil des FMR1-Proteins produziert werden kann.

Ein großes Problem ist jedoch, dass man nicht genau sagen kann, wie sich das Fehlen des FMR1-Proteins auf die Gehirnzellen auswirkt und was überhaupt die genaue Funktion dieses Proteins ist. Diese Unkenntnis macht eine Anwendung der Gentherapie momentan unmöglich.

 

 

Weitere Therapiemöglichkeiten

 

Das Fragile-X-Syndrom und dessen Ursache sind nicht heilbar. Lediglich durch ein frühes Erkennen können therapeutische Maßnahmen in Angriff genommen werden.

Da die Sprachentwicklung der fra(X)-Patienten wesentlich langsamer voranschreitet als bei einem gesunden Kind, wäre die Sprachtherapie eine  Möglichkeit.

Ebenso Krankengymnastik, Beschäftigungstherapie und Frühförderung können dazu beitragen, dass Kinder mit Fragilem-X-Syndrom besser integriert werden. 

 

 

Prophylaxe

Eine generelle Prophylaxe ist nicht möglich, lediglich durch den Verzicht auf leibliche Kinder, kann die Geburt eines fra(x)-Kindes vermieden werden.     

 

 

 

8. Schlusswort



Mit dieser besonderen Lernleistung wollte ich über das Fragile-X-Syndrom informieren und dem geringen Bekanntheitsgrad entgegenwirken. Ich hoffe sehr, dass es mir
hiermit gelungen ist.

Anbei möchte ich noch auf den ethischen Aspekt dieser Arbeit verweisen.
Wie schon in Kapitel „pränatale Diagnostik“ angeführt, stehen die Eltern bei einer Frühdiagnose des Fragilen-X-Syndroms vor der Entscheidung, ob sie die Schwangerschaft vorzeitig abbrechen oder ob sie das Kind zur Welt bringen sollen.
Möglichkeiten der Heilung oder der spezifischen Therapie gibt es nicht, da man bei den Forschungen noch ganz am Anfang steht.
Argumente, die in diesem Fall für eine Abtreibung sprechen, sind zum Beispiel, dass „solch ein Leben“ nicht lebenswert und für das Kind nur eine Qual sei.
Ebenso bedeute es sowohl eine psychische als auch eine finanzielle Belastung für die Familie. Ein Aspekt, der mir auch oft genannt wurde, ist, dass man sich sein ganzes Leben lang um den fra(X)- Patient kümmern müsste und dass im Falle des Todes der Eltern der Betroffene alleine „dastehen“ würde.
Doch sind dies alles Argumente, die eine Abtreibung rechtfertigen?
Was ist mit dem Wert des Menschen – dem Wert jedes einzelnen Menschen?
Jeder hat das Recht auf Leben, und es steht niemandem zu, über Existenz oder Nichtexistenz zu entscheiden – ob gesund oder nicht.
Hier in diesem Falle sind die Betroffenen, je nach Intensität ihrer Behinderung, in der Lage, ein einigermaßen geregeltes Leben zu führen, und man kann im Voraus nichts über den individuellen Verlauf des Syndroms sagen. Mit Sicherheit weiß man jedoch, dass die fra(x)-Patienten ihre Umwelt wahrnehmen und darauf reagieren.
Behinderte und Nichtbehinderte leben zwar auf dem selben Planeten, aber in zwei verschiedenen Welten.
Manchmal passiert es, dass man durch Verwandte oder Bekannte einen Einblick in die andere Welt gewinnt, doch die zwei Welten werden sich nie vereinen.
Die Entwicklung, die man immer mehr beobachten kann, ist erschreckend.



Neben vielen anderen Faktoren spielt der medizinische Fortschritt in den letzten Jahren eine sehr bedeutende Rolle.
Die Möglichkeiten, die sich hierdurch bieten, bestärken immer mehr die „Traumvorstellung“ vom gesunden Leben.
Wieso sollte man sich für ein behindertes Kind entscheiden, das mehr Aufmerksamkeit benötigt und mehr Arbeit bereitet, wenn es aus medizinischer Sicht möglich ist, die Schwangerschaft zu beenden und vielleicht durch mögliche Fortschritte in der Gentherapie Jahre später ein gesundes Kind zu gebären.
Der ethische Aspekt wird immer mehr ignoriert und außer Betracht gelassen. Gruppen wie Behinderte, Kranke und Alte passen nicht in das perfekte Gesellschaftsbild, wie wir es uns wünschen.
Langsam, ganz langsam kommt es zur Abwertung des Lebens eines Menschen, eines Behinderten (ob angeboren oder nicht), eines Kranken, eines Alten.............
Eben dieser Entwicklung sollte man sich in den Weg stellen und im Kleinen versuchen, sie in eine andere Richtung zu lenken.
Viel Erfolg.

 

 

 

 

 

 

 

9. Glossar

 

 

 

Down Syndrom

 

 

Trisumie 21, Mongolismus : ein Trisumie-Syndrom mit geistiger Behinderung unterschiedlichen Ausmaßes und einer Reihe körperlicher Merkmale. Bei Verdachtsdiagnose muss die Trisumie des Chromosoms 21 durch Chromosomenanalyse nachgewiesen werden. Eine ursächliche Therapie ist nicht möglich. Die bestehenden Behinderungen, so die   -v.a. aktive- Sprachstörung (auch bedingt durch hohen Gaumen,große Zunge und Zahnfehlstellungen), lassen sich durch gezielte Maßnahmen beeinflussen (Sprachtherapie, kieferorthopäd. Regulieung); intensive Krankengymnastik (bei Muskelhypotonie, Bindegewebsschwäche) ist nötig. Bei Erziehung und Früförderung in der Familie resultiert eine gute soziale Eingliederungsfähigkeit; Hilfsbedürftigkeit durch geistige Behinderung bleibt in der Regel bestehen. Die Infektanfälligkeit bei verminderter humoraler und zellulärer Immunität erfordert häufig rechtzeitige Anwendung von Antibiotika, bei angeborenen Herzfehlern und evtl. Fehlbildungen im Magen-Darm-Trakt ist entsprechend fachliche Betreuung nötig.

 

 

Merkmal

 

Prozent der Fälle mit

 vorhandenen Merkmalen

 

           

Entwicklungsverzögerung

              99,0

Typische Fazies

              90,0

Lidachsenstellung (nach oben außen)

              86,5

Brachyzephalie

(„Rund-“ oder „Breitköpfigkeit“)

              75,0

Klinodaktylie V

(skelettbedingte seitlich-winklige

Abknickung eines Fingerglieds)

          70,0-50,0

Epikanthus (Lidfalte)

              67,0

Offener Mund

              65,0

Vierfingerfurche (durchgehende, vom ellen- bis

Zum speichenseitigen Rand reichende

Hohlhandlinie als Verschmelzung der Fünf- und

der Dreifingerfurche) 

              59,0

Sandalenlücke (verbreiterter Zwischenraum

Zwischen 1.und 2.Zehe)

              53,0

Knopfnase

              53,0

Lingua scrotalis

              51,0

BRUSHFIELD Flecke (verstreute, kleine,

gelblich-weiße Flechen auf der Iris)

              50,0

Ohrmuscheldysplasie

(Dysplasie: Fehlgestaltung)

              50,0

Makroglossie  (Vergrößerung der Zunge)

              41,0

Herzfehler, angeboren

          60,0-40,0

Muskelhypotonie

                31,0

Brachydaktylie (Kurzfingrigkeit)

                29,0

Strabismus (Schielen)

           23,0-14,0

 

                                                                                      Roche Lexikon Medizin

 

 

 

 

 

 

 

Autismus

 

 

Das Sichabsondern von der Außenwelt unter Einkapselung in die eigene Gedanken- und Vorstellungswelt.

Eine schon im Säuglingsalter erkennbare Kontaktstörung, charakterisiert durch das Fehlen jeglicher Reaktion auf Zuwendung der Umgebung, durch in die Ferne gerichteten Blick, zwanghafte Spielgewohnheiten und übermäßige Bindung an Einzelobjekte; Schmerzunempfindlichkeit, Sprachentwicklungsstörungen (Echolalie).

Denken: ist affektgeleitet, mit Flucht in Phantasien und steht im offenkundigem –aber unberücksichtigtem – Widerspruch zur Wirklichkeit.

Verhalten: soziale Anpassungsstörung aufgrund bestimmter Charaktereigenschaften. 

 

                                                                                                  Roche Lexikon Medizin

 

 

 

 

 

 

 

Chorea Huntington

 

Chorea: eine Gruppe extrapyramidaler Bewegungsstörungen; schnelle, unwillkürliche, unphysiologisch-arrhythmische Kontraktion non Muskeln in fast allen Körperregionen, u.a. mit Grimassieren, evtl. auch mit Beeinträchtigung des Sprechens.

Ch. Huntington: bereits durch die genetische Beratung feststellbar; schwerwiegende psychische Veränderungen, nicht geschlechtsgebunden; die Manifestation erfolgt zwischen dem 25. und 55.Lebensjahr, bei etwa 50% beginnt die Erkrankung unter 15 Jahren mit Hyperkinesie, Rigor (Starre bei passiver Bewegung), epileptischen Anfällen und Intelligenzabbau. 

 

                                                                                           Roche Lexikon Medizin

 

 

Friedreichsche Ataxie

 

Eine früh in Erscheinung tretende rezessiv erbliche Kleinhirn-Rückenmark-Erkrankung mit fortschreitendem Schwund der Hirnstränge und der Rückenmark-Kleinhirn-Bahnen, mit nachfolgender Störung der Bewegungsabläufe, Störung der Oberflächen- und Tiefensensibilität, Nystagmus (), Sprachstörungen, Spastik, Wesensänderungen; Herzfehler und Stoffwechselleiden kommen vor.

 

                                                                                                     Roche Lexikon Medizin

 

 

Hyperaktivität

Übersteigerter Drang zu motorischen Äußerungen bei psychischer Unruhe.

 

 

Hyperkinese

Übermäßige Bewegungsaktivität

(1)   gesteigerte spontane Motorik

(2)   seelisch bedingte Bewegungsunruhe

 

Desoxyribonucleinsäure  (DNS, DNA)

Ein Polynucleotid aus zahlreichen Mononucleotiden, die jeweils durch 3’,5’-Desoyxribosephosphorsäurediester-Brücken miteinander verbunden sind.

Enthält die Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin und kommt in allen chromosomenhaltigen Zellen vor, zumeist an Eiweiß gebunden;

funktionell für die Erbmerkmale.

 

 

Mutation

Jede nicht auf Mischung und Neukombination von Chromosomen oder auf verwandten extranucleären Vorgängen beruhende sprunghafte qualitative oder quantitative Änderung der Struktur und Wirkung eines oder mehrerer Erbfaktoren.

 

 

 

X-chromosomal rezessiver Erbgang

 

Gonosomaler Erbgang bei dem das von der heterocygoten –gesunden- Mutter stammende Merkmal bei 50% der Söhne, jedoch bei keiner Tochter in Erscheinung tritt; bei Frauen ist das Merkmal nur sichtbar, wenn das Gen auf beiden X-Chromosomen (homocygot) vorhanden ist.

 





10. Literaturliste


Roche, Lexikon der Medizin

Mentor, Biologie Genetik

Eberhard Passarge, Taschenatlas der Genetik

U. Froster, Das Fragile-X-Syndrom

Hergersberg, Molekularbiologische Diagnostik des Fragilen-X-Syndroms

Hirsch / Kaufmann, Biologie für Mediziner

Der Spiegel, Nr.20 / 14.5.2001 Operation Embryo

www.frax.de

www.praenatal-diagnostik.ch

www.abtreibung.de

www.bundesaerztekammer.de